Eine Trancegeschichte.
Wie das mit dieser Sorte Geschichten so ist, war sie heute früh einfach da und wollte aufgeschrieben werden.
Ich habe eine Vermutung, für wen sie sein könnte – aber wer weiß, vielleicht ist sie ja auch genau für dich…
Margit saß allein am Frühstückstisch. Und plötzlich war es da. Unförmig, unfarbig, irgendwie durchsichtig. Es bewegte sich – und auch wieder nicht. Irgendwie war es so wabbelig. Es war nicht klein und nicht groß. Genau genommen konnte Margit überhaupt nicht erkennen, wo es anfing und aufhörte. Wo kam das Dings denn plötzlich her?
Klar, dass Margit das nicht auf dem Frühstückstisch lassen konnte. Egal, was es war – es musste weg. Und zwar sofort!
Igitt, so ein Wabbel-Dings. Das ist ja unerträglich!!!
Nur… Wir sollte sie es wegmachen?
Sie versuchte, es zu greifen. Und es ging nicht.
Sie versuchte, es mit einem schnellen Schubs vom Tisch zu wischen. Das klappte auch nicht.
Sie versuchte, es unter der Kaffeekanne zu zerquetschen. Und das Dings tauchte unbeeindruckt wenige Zentimeter weiter wieder auf.
Margit betrachtete es. Und während sie es anschaute, kam es ihr vor, als ob das Wabbel-Dings sie ebenfalls anschauen würde.
Also, nicht dass es Augen hätte oder so. Aber irgendwo in diesem unförmig-durchsichtigen Wabbel-Dings kam es ihr so vor, als ob es da Interesse gäbe. Interesse an ihr.
Igitt! Das Dings muss weg. Jetzt!!! Sofort.
Und außer Margit war niemand da, der sich darum kümmern konnte.
Sie überlegte…
Bei Spinnen hatte sie diesen Trick mit dem Staubsauger. (Und obwohl sie nicht ernsthaft glaubte, dass der Staubsauger das Problem wirklich nachhaltig löste, saugte sie die Spinnen in der Wohnung immer weg. Denn dann konnte sie sie wenigstens nicht mehr sehen.)
Sie holte den Staubsauger, steckte das lange Saugrohr dran, stellte auf 2.400 Watt und attackierte das Dings. Dabei fiel die Zuckerdose runter und der Kaffee schwappte gefährlich über – aber das Dings blieb wie es war wo es war!
Margit runzelte die Stirn. Was war das für ein Dings…?
Und weil sie den Staubsauger eh schon geholt hatte, saugte sie den Zucker auf dem Tisch weg und dann auch noch das, was davon auf dem Boden gelandet war. Weil sie hoffte, dass das Dings von allein wieder verschwinden würde, wenn sie es nur konsequent genug ignorieren würde, saugte sie auch gleich noch das restliche Esszimmer. Und das Wohnzimmer. Und das Schlafzimmer.
Als sie wieder an den Frühstückstisch kam, war der Kaffee kalt. Und das Dings war immer noch da. Margit konnte den Eindruck nicht abschütteln, dass es irgendwie vorwurfsvoll dreinschaute.
Wie in aller Welt konnte ein unförmig-farbloses randloses Dings einen Gesichtsausdruck haben?
Wieso ließ es sich weder ignorieren noch wegmachen?
Was bitteschön sollte jetzt werden, wenn es für immer auf dem Esszimmertisch bliebe?
Oh Gott, für den Nachmittag hatte Margit ihre Eltern zum Kaffee eingeladen! Wie sollte sie denn denen dieses Dings erklären??? Gütiger Himmel!!!
Das Dings musste weg. Jetzt. Sofort!
Sie schlug danach. Das Dings wurde größer.
Sie versuchte es zu fassen. Das Dings machte ein glucksendes Geräusch, während ihre Hand hindurchglitt.
Sie fing an, mit der Kuchengabel hineinzupieksen. Das Dings wabbelte sich in die Länge, als ob es eine Katze wäre, die sich genüsslich den Bauch kraulen ließ.
Sie probierte, es mit Lärm zu vergraulen. Das Dings fing an, vernehmlich zu summen.
Und nebenbei wurde es auch noch gelb. Und wesentlich deutlicher sichtbar als zuvor. Und außerdem wurde es immer lauter!
Je mehr Margit auf das Dings losging, desto klarer wurde ihr, dass es einen eigenen Willen hatte. Und es gab keinen Zweifel: Das erklärte Ziel dieses Dings war, zu bleiben.
Eine andere Strategie musste her.
Nur welche?
Physische Angriffe machten das Dings konkreter. Das war also sinnlos.
Ignorieren hatte auch nicht funktioniert.
Aber was in aller Welt sollte Margit denn noch probieren? Wie kriegte sie das Dings vom Tisch???
Margit setzte sich und nahm einen Schluck kalten Kaffee. Sie betrachtete das Dings währenddessen. Intensiv. Nachdenklich.
Das Dings wurde zartrosa. Das Summen wurde harmonischer. Und das Wabbeln wurde zu einem sanften Pulsieren. Irgendwie wurde das ganze Dings freundlicher, während Margit es einfach sein ließ und ihm mit Interesse gegenübersaß.
Margit überlegte…
Wenn Aufmerksamkeit das Dings zutraulich machte, dann war das vielleicht der Weg, mit ihm umzugehen. Denn es weghaben zu wollen, war‘s ja wohl nicht.
Und Margit nahm sich ein Herz. Ein Herz für ihr Dings.
Dann ließ sie das Herz sprechen und machte sich keine Gedanken mehr darüber. Sie akzeptierte, was von ihrem Herzen kam und beobachtete, wie sich das Dings wandelte…
Zeit spielte keine Rolle mehr.
Alles um sie herum wurde bedeutungslos.
Margit war völlig fasziniert davon, wie dieses Dings mit ihrem Herzen in Kontakt kam. Und ihr Herz und das Dings fanden einen Weg, miteinander zu sprechen.
Es wechselte immer mal wieder die Farbe. Mal langsam, behutsam. Und dann wieder recht abrupt, konkret.
Es bewegte sich. Pulsierte. Dann wieder wurde es still. Es folgte dem Herzschlag von Margit. Oder es fand seinen eigenen. Es schien sich innendrin zu wandeln, während es äußerlich glatt war. Und dann schien es wieder äußerlich bewegt und innendrin still.
Es wurde klarer. Scharf abgegrenzt. Und dann wurde es wieder vage. Unkonkret.
Es summte. Es gluckste. Es machte Geräusche, als ob es ganz tief durchatmen würde.
Und während der ganzen Zeit hatte Margit das Gefühl, dass das Dings mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei ihr war. Fast so, als ob es sie betrachten würde. Dabei hatte das Dings weder Augen noch ein Gesicht.
Aber hätte man Margit in diesem Moment gefragt, wie das Dings dreinschaute, dann hätte sie gesagt: Wissend. Verständnisvoll…
Und dann, nach einigem Zögern, weil sie sich nicht sicher war, ob das wirklich möglich war: … Liebevoll…?
Das Dings war voller Liebe.
Als Margit diesen Gedanken spürte, da wurde das Dings ganz bunt und ganz real. Und dann nahm es die Lieblingsfarbe von Margit an und glitt näher auf sie zu. Leise pulsierend kam es näher ans Herz heran.
Margit fand es ganz selbstverständlich, aus tiefstem Herzen eine Frage zu stellen.
Möchtest du zu mir kommen?
Das Dings schien zu strahlen. Und es rückte so nah, dass Margit es vor sich spüren konnte.
Möchtest du einen Platz in meinem Herzen?
Und das Dings glitt in Margit hinein, nahm Platz und breitete sich mit ruhigem Pulsieren aus, bis es Margit ganz und gar mit ihrer Lieblingsfarbe erfüllte. Und mit einem stillen, wunderschönen Summen. Und mit ganz vielen wundervollen Gefühlen.
Margit saß am Frühstückstisch und sah aus dem Fenster. Draußen schien die Sonne. Es war ein strahlend-schöner Tag. Die Vögel zwitscherten fröhlich und harmonisch. Und die Wolken leuchteten weiß, während sie sich vom sanften Wind anschieben ließen. Alles war hell und klar und wundervoll.
Der kaltgewordene Kaffee schmeckte so gut, wie kalter Kaffee überhaupt nur schmecken konnte. Genüsslich aß Margit einen von den Muffins dazu – und stellte fest, dass er so lecker wie noch nie war.
Am Nachmittag würden ihre Eltern zu Besuch kommen – und Margit spürte, wie das Dings in ihr drin ein warmes, entspanntes Gefühl machte.
Diesmal würde sie sich einfach nur auf ihre Gäste freuen. Sie würde sich nicht verrückt machen und bis zur letzten Minute die Wohnung putzen. Sie würde auch nicht hektisch hin und her laufen, um hier noch ein Bild zurechtzurücken und da ein Buch im Regal im perfekten Winkel auszurichten.
Margit würde den restlichen Morgen einfach nur mit dem Dings zusammen genießen. Denn sie hatte so eine Ahnung, dass das Dings gerne bleiben würde, wenn sie ihm Aufmerksamkeit gäbe und ihr Herz dafür öffnen würde.
Vielleicht würde sie nachher noch in aller Ruhe den Staubsauger verstauen, der da immer noch neben dem Tisch stand. Oder auch nicht.
Sie könnte ja ihren Eltern erzählen, dass sie vorhin damit eine Spinne wegsaugen wollte…
Und dann würden sie gemeinsam darüber lachen, dass es keinerlei Garantie dafür gab, dass so ein Staubsauger eine Spinne wirklich auf Dauer wegmachte.