Die leidigen Vorstellungsrunden

Christine Winter // Kommunikationsprobleme

27. Juli 2015  

„Erzählen Sie doch kurz, wer Sie so sind und was Sie so machen…“

Wenn du schon mal auf einem Seminar, einer beruflichen Fortbildung oder bei einem VHS-Kurs warst, kennst du das.

Du hast dir gerade einen Platz gesucht und bist noch voll und ganz damit beschäftigt, dein Schreibzeug aus der Tasche zu kramen, als der der Kursleiter auch schon sagt:

„Ich bin Heinz Mustermann und leite den Kurs „Angewandte Kommunikationstheorie“. Stellen Sie sich doch bitte erst mal kurz vor…“

Der erste Teilnehmer links vorne fängt auf eindeutiges Handzeichen des Kursleiters an:

„Ich heiße Gernot Gernredner, bin glücklich verheirateter Vater von vier Kindern, die fünf, sieben, neun und dreizehn Jahre alt sind. Die älteste Tochter ist jetzt gerade in der Pubertät und macht uns viel Ärger… blablabla… Ach ja, und ganz wichtig für das Seminar ist natürlich auch noch, dass ich als Entwicklungsingenieur für Insektenhotels… blablablabla… und viel Verantwortung für… blabla…
Am nächsten Wochenende kommt übrigens meine Schwiegermutter zu Besuch und dafür erhoffe ich mir hier im Seminar ganz viel… blablablablablubb…
Wenn ihr noch Fragen habt, dann bitte, gerne. Ich kann jetzt nicht auf die Schnelle alles über mich erzählen. Aber wir sind ja auch noch länger zusammen – da lernt man sich bestimmt schnell besser kennen. Lasst uns doch von Anfang an alle DU sagen.“

Gernot blickt beifallssicher in die Runde.
Irgendjemand nickt höflich, worauf noch ein freudiges: „Also dann, ich bin der Gernot!“ ertönt.

Der Kursleiter sagt: „Vielen Dank, Gernot. Dann bleiben wir also beim Du. Und weiter geht’s mit der Nächsten – wir wollen ja keine Zeit verschwenden.“

Die nächste in der Reihe… Das bist nun dummerweise du.
Und nach Gernots mehrminütigem Monolog bist du mehr als erschlagen. Was sollst du jetzt bitteschön erzählen? Du weißt nichts über die Leute in der Gruppe – und völlig Fremden deine Lebenseckdaten zu erzählen widerstrebt dir schon mal prinzipiell. Ganz abgesehen davon, dass dir im Moment eh nichts mehr einfällt, weil vierzehn Augenpaare mehr oder weniger ungeduldig auf dich blicken und warten, wann es endlich losgeht.

Wie stellt man sich eigentlich – verda… nochmal – in einem Seminar angemessen vor?

1. Die Mindestangaben:

(Wenn du ein Internet-Formular ausfüllen würdest, wären das die Felder mit den Sternchen. Wenn du da nichts angibst, geht’s nicht weiter und du kriegst eine Fehlermeldung…)

Erwartet wird in jedem Fall, dass du den Namen sagst, mit dem du im Seminar angesprochen wirst. Also nennst du im Sie-Rahmen den Nachnamen – oder nach Gernots „Wir-sagen-von-Anfang-an-alle-DU“-Offensive deinen Vornamen/Rufnamen. Im Zweifelsfall ist Vor- und Nachname eine gute Idee…

In einem beruflichen Seminar, in dem dich die Teilnehmer noch nicht kennen und einordnen können, ist eine gewisse Info über deine Firma und Tätigkeit angebracht: „Ich arbeite bei „Bären-Berger“ in der Buchhaltung. Das Unternehmen stellt hochwertige Teddybären her und ich kümmere mich um die Rechnungen für die lateinamerikanischen Kunden.“

In einem Kurs, den du aus privatem Interesse besuchst, ist für die anderen Teilnehmer interessant, warum du dabei bist: „Ich habe vor einer Weile ein Buch über das rituelle Palaver von südamerikanischen Indianerstämmen gelesen und dachte mir, da wäre ein Kurs über „Angewandte Kommunikationstheorie“ auch mal interessant…“

Fertig.
Ein Satz, in dem dein Name vorkommt PLUS ein Satz, in dem der Grund deiner Anwesenheit auftaucht, reicht.

Dann nickst du freundlich dem nächsten in der Runde/Reihe zu und gut ist’s.

2. Wenn’s ein bisschen mehr sein darf

Als Stiller Mensch ist bei dir nicht unbedingt zu befürchten, dass du versuchst, Gernot Gernredner zu übertrumpfen.

Aber es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, dass du deinen Vorstellungstext ein wenig ausschmückst.

Interessant für die Zuhörer und für dich relativ einfach zu erzählen ist eine kleine „Geschichte“ über dich oder den Grund, aus dem du da bist. Sowas wie: „Ich bin von Haus aus eher still – da interessiert es mich natürlich, wie Leute es schaffen, sehr viel zu reden.“ (Optional denkbar: Ironisch-lächelnder Seitenblick auf Gernot…)
Oder: „Bären-Berger schickt alle Nachwuchs-Mitarbeiter im ersten Jahr in so einen Kurs. Ich bin schon gespannt, wie ich das Thema in meinen Buchhaltungs-Alltag umsetzen kann.“
Oder: „Meine Freundin hat mich angemeldet und mir den Kurs zum Geburtstag geschenkt. Sie sitzt übrigens gleich neben mir und kann auch noch was dazu sagen…“ (Geschickte Überleitung, die dir weitere Ausführungen erspart…)

3. Antworten auf konkrete Fragen

Ein Kursleiter, der sich vorher Gedanken gemacht hat, hat wahrscheinlich ein paar Vorschläge, worüber du sprechen kannst.
Und im Idealfall zeigt er die Stichpunkte, für die er Antworten möchte, gut sichtbar am Flipchart, an der Pinnwand oder irgendwo anders, so dass du sie während deiner Vorstellung nochmal angucken kannst.

Der Kursleiter stellt dabei meistens die Fragen, die ihm für sein Seminar in dem Moment wichtig sind, wie z. B.
– Welche Erfahrung haben Sie schon mit dem Thema?
– Was interessiert Sie vor allem?
– Wann werden Sie sagen, dass das Seminar für Sie ein Erfolg war?

Es ist völlig okay, wenn du die Mindestangaben (siehe 1.) machst und dann sagst, dass du dich mit dem Thema noch nicht groß beschäftigt hast und daher das Seminar einfach auf dich zukommen lässt.
Nimm die Fragen einfach als Vorschlag, nicht als Pflichtinhalt – so sind sie auch gedacht…

4. Die Spielchen

Ich hasse das: Ich kenne noch keinen Menschen im Raum und ein überenthusiastischer Trainer fordert mich auf, doch mal eben für fünf Minuten meinen Nebenmann zu interviewen, um dann „ganz schnell in drei, vier Minuten“ vor der Gruppe alles über ihn zu erzählen – einschließlich Schuhgröße, Kinderkrankheiten und den Lieblingsreisezielen in alphabetischer Reihenfolge.
Der Trainer denkt, das wäre lustig und auflockernd, weil die Teilnehmer in entspanntem Smalltalk schnellstens alles über einander zu erfahren versuchen.
Ich denke nur: „Ich will hier raus. JETZT!“

Leider gibt es von diesen Spielchen unendlich viele Variationen, die allesamt bei introvertierten Teilnehmern den dringenden Wunsch auslösen, zu verschwinden.
Der extravertierte Seminarleiter kriegt davon in der Regel nichts mit… Schade, eigentlich.

Da hilft nur „Augen zu und durch“ – oder dringend nochmal zum Auto/an die Rezeption/auf’s Klo zu müssen.

5. Es geht auch anders…

Ich kenne die unterschiedlichsten Seminare von Fachhochschule bis Volkshochschule und von Anfänger-Fotokurs bis zutiefst fachlichem Spezialwissen.
Und ich finde, dass es in der Regel am Anfang generell völlig egal ist, welche Vorlieben/Vorleben die Teilnehmer haben und was deren Erwartung ist und vor allem, wie viele Kinder, Kaninchen oder Katastrophen in ihren Familien vorkommen.
Und wer dennoch zum Ankommen in der Gruppe (egal ob als Seminarleiter oder -besucher) auf Smalltalk Wert legt, der hatte bis zum offiziellen Beginn schon reichlich Zeit, sich mit jemandem auszutauschen, der diese Art der Kontaktaufnahme auch mag.

Versteh mich nicht falsch: Es macht Sinn, dass in einer Gruppe jeder am Anfang kurz etwas über sich sagt und sich so den anderen vorstellt  – dadurch bekommt jeder Teilnehmer ein Gefühl dafür, mit wem er es zu tun haben wird. Dafür reichen allerdings die Mindestangaben (siehe 1.), vielleicht erweitert durch EINE wirklich gute Frage des Seminarleiters.

Und ein kreativer Trainer – davon gibt’s erfreulicherweise eine ganze Menge – hat bestimmt noch viele andere Ideen, wie er aus einzelnen Leuten eine Gruppe macht – ohne dabei den Introvertierten Gewalt anzutun…

„Erzählen Sie doch kurz, wer Sie so sind und was Sie so machen…“

Nimm den Seminarleiter beim Wort: Kurz, knapp, mit einem Lächeln und in zwei oder drei Sätzen – mehr Vorstellung muss nicht sein.

Wenn die Gruppe länger zusammen bleibt oder sich immer wieder trifft, wirst du bald ein Gefühl dafür haben, was du erzählen kannst und willst. Und auch dann ist es okay, zu sagen: „Ich habe heute nichts, was ich erzählen möchte. Ich gebe das Wort an den nächsten weiter…“

Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine

Christine