Woher weiß man, was man will?

Christine Winter // Persönliche Entwicklung

25. Januar 2016  

Vielleicht ist dir das auch schon mal passiert: Du begegnest ein paar Leuten, die du bisher nicht kanntest – zum Beispiel auf einer Veranstaltung, einem Seminar, in einem neuen Kurs an der Schule oder in der Uni. Vielleicht haben dich auch Freunde auf eine Feier mitgenommen und stellen dir einige Leuten aus ihrem Bekanntenkreis vor…

Egal, wo du neuen Menschen begegnest – es kann durchaus sein, dass du niemanden so richtig unsympathisch findest.  Aber auch niemanden so hundertprozentig auf deiner Wellenlänge. Und daraus schließt du, dass halt wieder keiner unter den neuen Bekanntschaften ist, den du näher kennen lernen möchtest.

Wenn man doch nur schon vorher wissen könnte, wen man hinterher mögen wird…

Wenn du deutlich introvertiert bist, dann kostet es dich einige Energie, auf einen Menschen zuzugehen, den du noch nicht kennst. Denn bei unbekannten und unvorhersehbaren Situationen überwiegt die Vorsicht bei weitem die Neugier.

(Extravertierte sind da anders: Die überrollen einen neuen, unbekannten Menschen gerne mal mit ihrer Lust auf’s Neue und ihrer Begeisterung für Kontakte. Sie meinen das nicht böse oder gar übergriffig – sie sind einfach so.)

Wenn du dich also schon entschließt, dass du mit jemandem das Gespräch von dir aus suchst oder dich einer Gruppe anschließt, die sich angeregt unterhält, dann wüsstest du am liebsten von vornherein, dass sich die Anstrengung auch lohnen wird. Richtig?

Um beim Beispiel zu bleiben: Du hast also ein paar Leute entdeckt, die aus irgendeinem Grund deine Aufmerksamkeit anziehen. Das ist bereits ein erstes Zeichen dafür, dass du interessiert bis, mehr über sie erfahren.

Wenn dich nämlich jemand gar nicht interessiert, dann interessiert er/sie dich nicht. Punkt.

Mit Logik kommst du wahrscheinlich nicht weit. Die Logik sagt immer: "Für eine sichere Entscheidung fehlen ganz entscheidende Informationen. Also lassen wir das lieber."

Und während die Logik ihr Urteil über die Menschen spricht, die du noch gar nicht kennengelernt hast, stehst du am Rande und fühlst dich blöd.

Probier’s mal mit Gefühl

Viel besser wäre es, in so einem Moment dem Gefühl zu folgen.

Falls du jetzt denkst: „Hab ich schon probiert. Aber in mir drin ist völliges Durcheinander. Ich kriege überhaupt kein klares Gefühl zustande. Ich fühle mich ja gleichzeitig interessiert und zurückhaltend, fühle Lust auf ein Gespräch und keine Lust, mit jemandem zu reden, habe – ehrlich gesagt – nicht nur Stress, sondern auch ein bisschen Angst wegen der fremden Leute um mich herum und eigentlich ist das Gefühl am allerstärksten, dass ich lieber doch daheim geblieben wäre…“

Ja. Ich weiß.

Das ist es, was ich meine, wenn ich empfehle, dem Gefühl zu folgen. 🙂

Mit Gefühl entscheiden – Variante 1:

Gefühle kommen nie säuberlich sortiert daher. „Gemischte Gefühle“ zu haben ist das normalste überhaupt – und sogar in den allerschönsten Momenten deines Lebens könntest du immer auch ein paar ungute Gefühle entdecken, wenn du genau darauf achten würdest.

1. Wie spürst du denn deinen Körper gerade?

Wenn sich die Gedanken im Kopf überschlagen ist leicht möglich, dass du deinen Körper erst spürst, wenn du dich darauf konzentrierst. Das ist der erste wichtige Schritt, um mit Gefühl zu entscheiden.

Spür doch mal, welche Körperstellen einen Gegenstand (z. B. den Stuhl, auf dem du sitzt) berühren… Die Füße? Der Hintern? Der Rücken? Die Hände?

Und was ist mit der Kleidung? Wo spürst du die?

Dann spür auch noch, wie groß der Raum um dich herum ist. Und wie weit die Wände, der Boden, die Decke weg ist.

Und atme mal tief ein und aus. Das hilft enorm, den Körpergefühlen auf die Spur zu kommen.

2. Spüre, was sich negativ anfühlt.

Geh mal deinen Körper in Gedanken von den Haarspitzen bis zu den Fußspitzen durch und spüre, wo du negative Empfindungen entdecken kannst.

Was auch immer du wahrnimmst – es ist völlig okay. Gefühle sind nun mal im Körper. Das ist ihr Job. Sie waren die ganze Zeit schon da, du hattest nur keine Aufmerksamkeit für sie.

Und damit die Aufmerksamkeit gerecht verteilt ist:

3. Spüre, was sich positiv anfühlt.

Geh den Körper nochmal in Gedanken durch – in alle Ecken und Enden. Und spüre, wo sich positive Empfindungen finden lassen.

Manchmal sind die ganz klein oder sehr schnell. Es braucht einige Konzentration und gelegentlich auch ein wenig Geduld, sie zu erwischen. Aber auch die positiven Empfindungen lassen sich mit deiner vollen Aufmerksamkeit entdecken.

4. Mach dir eine Skizze…

Mal doch mal ein Strichmännchen. Und zeichne die negativen Empfindungen mit Rot ein, die positiven mit Grün.

Ich weiß natürlich, dass so eine Skizze im nächsten Moment schon wieder überholt ist, weil es für Gefühle ganz normal ist, sich permanent zu wandeln. Und trotzdem finde ich so eine Momentaufnahme ganz spannend.

Wenn du mal nichts zur Hand hast, womit du eine Skizze zeichnen kannst, dann sieh dich einfach vor dir als Strichmännchen – und lass in Gedanken die positiven Gefühle dein Strichmännchen grün färben und die negativen Gefühle rot werden.

5. Und nun: Die Auswertung.

Da du zwei Sorten von Gefühlen gleichzeitig erlebst, macht es keinen Sinn, sie alle in einen Topf zu werfen.

Die getrennte Auswertung geht so: Notiere dir für die negativen Empfindungen einen Wert zwischen 0 und 100. Je spontaner du eine Zahl nennst, desto besser.

Und dann notiere dir für die positiven Empfindungen ebenfalls einen Wert zwischen 0 und 100. Ganz spontan. Jetzt.

Vielleicht hast du jetzt 83 für „negativ“ und 59 für „positiv“.

Die Gefühle sagen also: „Lieber nicht. Wobei fast 60 % positive Gefühle schon ganz beachtlich sind.“

Merke: Das ist keine demokratische Abstimmung. Sondern eine „nach Gefühl“.

Daher kommt noch ein weiterer Schritt:

6. Geht da noch was?

Frage dich, wie der Wert, den du für die negativen Empfindungen genannt hast, niedriger werden könnte.
Manchmal kommen da ganz banale Ideen, z. B. „mal tief durchatmen“, „ein Glas Wasser trinken“ und ähnliches.
Ab und an kommt ein Geistesblitz, der in eine ganz neue Richtung denken lässt.

Oder es kommt keine Idee, aber irgendwie fühlt es sich allein schon weniger negativ an, weil die Gefühle mal von dir ernst genommen und beachtet werden.

Und dann frage dich, wie der Wert, der dir für die positiven Empfindungen eingefallen ist, höher werden könnte.

Das ist eine Frage, die du dir ohnehin zur Gewohnheit machen solltest:
Wie kann ich mich jetzt gerade noch besser fühlen?

Und ganz egal, ob dir etwas dazu einfällt oder nicht – es wird sich etwas an deinen positiven Gefühlen verändert haben.

7. Und dann: Entscheide dich.

Entscheiden heißt, eines zu tun, und etwas anderes (oder vielmehr: alles andere) bleiben zu lassen.

Entscheiden heißt, dass du die Schritte 2 bis 6 für mehrere Handlungsmöglichkeiten durchspielst und dadurch ein Gefühl dafür kriegst, was du wirklich als nächstes tun möchtest.

Du lächelst einen der sympathischen Menschen beispielsweise einfach mal an.

Oder du gehst zu einem Grüppchen von Leuten, die sich nett unterhalten, und stellst dich zu ihnen.

Oder du gehst erst mal auf’s Klo (und triffst in der Schlange prompt auf weitere sympathisch wirkende Leute).

Es gibt mal wieder kein „richtig“ oder „falsch“. Denn das Ergebnis deiner Entscheidung kannst du erst im Nachhinein beurteilen. Und wenn du dann feststellst, dass es noch nicht so toll war, dann hast du eine neue Erfahrung, die künftige Entscheidungen leichter macht.

Mit Gefühl entscheiden – Variante 2:

Sieben Punkte sind eine ganze Menge. Obwohl es mit der Zeit ganz schnell geht, den Körper nach negativen und positiven Gefühlen zu „scannen“, geht’s mit etwas Übung auch in der Kurzversion.

Manche Gefühle wirst du immer wieder haben, wenn du Variante 1 öfter ausprobierst.

Das Gefühl für „negativ“ ist bei mir beispielsweise immer im Bereich von Brust und Hals. „Positiv“ fühle ich ganz tief im Bauch. Da ich das bereits weiß, spüre ich ganz gezielt erst mal dort hin, wenn ich etwas entscheiden will.

Wichtig ist, wirklich beides zu spüren. Denn wenn du nur auf negative Gefühle achtest, dann kriegst du (logischerweise) immer ein negatives Ergebnis.

Dann solltest du kurz schauen, ob du das negative Gefühl kleiner machen kannst.

Und vor allem ist wichtig, das positive Gefühl so groß und angenehm zu machen, wie es in diesem Moment möglich und stimmig ist.

Wenn es mehrere Optionen für dich gibt, dann vergleiche die Gefühls-Mischungen.

Und danach brauchst du nur noch zu entscheiden – und eine gute Entscheidung fühlt sich immer (auch) positiv an, trotz all der gemischten Gefühle, die damit verbunden sind.

Ich wünsche mir für dich, dass du anfängst, dich über alle positiven und negativen Empfindungen zu freuen. Und es wäre schön, wenn du gelegentlich die Entscheidung triffst, trotz gemischter Gefühle eine neue Person kennenzulernen.

Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine

Christine

PS: Die Methode stammt von Maja Storch. Ich würde dir gerne ein Buch von ihr zum Weiterlesen empfehlen, aber leider habe ich bisher noch keines gelesen…