Niemand mag Konflikte. Richtig?
Wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, dann ist jeder lieber ganz weit weg als näher dran.
Es ist ja auch unangenehm, wenn die Harmonie gestört ist. Und wenn man womöglich gezwungen ist, Partei zu ergreifen oder eine Position zu vertreten.
Konflikte sind so überflüssig wie Käsefüße – und deutlich unangenehmer…
Was ist ein Konflikt?
Ein Konflikt ist – mal ganz leicht dahingesagt – wenn die Meinungen auseinandergehen.
Dabei hat der Konflikt die Eigenheit, dass er, wenn er erst einmal eine gewisse Schwelle überschritten hat, beinahe unumkehrbar immer größer wird. Diese Eigendynamik des Konfliktes – man sagt auch Eskalation dazu – macht es so schwierig, sich mit einem Konflikt zu befassen. Denn wenn man unmittelbar beteiligt ist, dann verrennt man sich ganz leicht in die Idee, zu wissen, dass man im Recht ist. Und dass der andere demzufolge ja nur im Unrecht sein kann. Diese Schwarz-Weiß-Sichtweise ist ganz klassisch für einen Konflikt, der sich hochschaukelt und mehr und mehr eskaliert.
Ich bin mir sicher, du hast schon Situationen erlebt, in denen du dir sicher warst, im Recht zu sein. Und je mehr ein anderer eine andere Meinung vertrat, desto sicherer wurdest du dir, dass seine Sichtweise Blödsinn ist. Weil’s wahr ist! (Sagte mein Papa manchmal, wenn ihm die Argumente ausgingen…)
Früher hatte ich eine ganz klare Vorgehensweise, wenn ich in solche Auseinandersetzungen geriet:
Innerhalb der Familie (also da, wo Sprechblockaden kein Thema waren) war die erste Stufe Argumentieren auf Teufel komm raus.
Die zweite Stufe war lauter werden.
Und die dritte Stufe war schnippisch werden.
Stufe vier war beleidigtes demonstratives Schweigen.
Und dann folgte eine lange Phase, die ich mal als „Aussitzen“ bezeichnen möchte. Meine Familie nannte es „Bocken“.
Diese Phase des demonstrativen und destruktiven Schweigens konnte unbegrenzt lange dauern. Es gibt Menschen, mit denen habe ich nie mehr ein Wort gewechselt. NIE mehr.
Stumme Konflikte
Wenn der Konflikt nicht in der Familie, sondern in Lebensbereichen stattfand, in denen die Sprechblockade da war, gab es die Stufen von Argumentieren, Streiten, Schnippisch-Werden und Verstummen nicht. Denn verstummt war ich ja von vorneherein. Und somit gab es keine Auseinandersetzung.
Man sollte meinen, dass mein Leben sehr harmonisch war, so ganz ohne Konfliktäußerungen.
Tatsache ist, dass ich enorm darunter gelitten habe, eben nicht zu reagieren und mir anmerken zu lassen, wie es mir ging.
Ich hatte unendlichen Stress, wenn ich in eine zwischenmenschliche Konfliktsituation verwickelt war – und zwar auch dann, wenn ich gar nicht zu den Konfliktparteien gehörte. Und ich habe still darunter gelitten. Denn ich konnte mit Konflikten einfach nicht umgehen – das hatte ich nie gelernt. Ich konnte es nicht aushalten, dass keine Übereinstimmung herrschte, dass ich keine Zustimmung hatte oder der andere eine völlig kontroverse Haltung hatte.
Woher hätte ich es auch können sollen? Einen konstruktiven Umgang mit Konflikten hatte ich nie kennengelernt.
Wo ich herkomme beharrt man auf seinen Argumenten, wird lauter und aggressiver, dann unfair und schließlich bockig. Und danach wird die Konflikt-Ursache für immer von der Tagesordnung genommen. Niemand geht auf den anderen zu, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Jeder erwartet, uneingeschränkt recht zu haben.
Was ein Kompromiss ist, habe ich erst gelernt, als ich längst erwachsen war. Und eine Lösung, bei der beide Parteien positiv abschneiden, konnte ich mir lange Zeit überhaupt nicht vorstellen. Für mich war klar, dass von dem Moment an, an dem man sich nicht mehr einig ist, alle nur noch verlieren…
Tja, und dann waren da meine inneren Konflikte…
Ich mach‘ das mit mir selber aus…
Konflikte von mir mit mir selbst. Ich wusste nie genau, wer ich eigentlich bin – ich glaubte immer, dass die Maske, die ich trug, falsch war. Denn ich hatte nicht gelernt, dass es völlig normal ist, im Leben je nach Situation immer wieder in eine neue Rolle zu schlüpfen und darin dennoch ganz man selbst zu sein. Ich war überzeugt, dass es für mich gar keine „Ich-Rolle“ gab, sondern nur schlecht gespieltes Theater.
Weil ich in meinen Augen alle meine Rollen unzureichend spielte, hatte ich nie das Gefühl, echt zu sein. Und als ich mit den Jahren immer mehr und immer länger aus der Familie heraus musste, hat es mich fast zerrissen, nicht zu wissen, wer ich war, wenn ich nicht mehr den Platz als genau definierter Teil meiner Herkunftsfamilie inne hatte. Meine ersten Berufsjahre waren entsprechend katastrophal… Und erst nach vielen Schwierigkeiten entdeckte ich, dass ich ein ICH habe, das in alle Rollen schlüpfen kann und doch immer ICH bleibt.
Ich erlebte, dass eine Meinung nur eine Meinung ist. Dass ich sie ändern kann und trotzdem ICH bleibe. Und dass es nicht nur Hopp oder Topp, Schwarz oder Weiß gibt. Es gibt Quadrillionen von Möglichkeiten, was man denken und behaupten und argumentieren kann – und es gibt niemanden, der wirklich bis ins Detail weiß, was stimmt.
Wow, etwas kann so sein. Oder anders. Oder nochmal ganz anders. Und man kann darüber ausgiebig quatschen, ohne dass am Ende einer recht hat und alle anderen unrecht…
Und ich kann unrecht haben, ohne dabei mein Gesicht zu verlieren. Ohne dabei die Maske abgerissen zu bekommen und als Mensch gescheitert zu sein. Ich kann einfach mal unrecht haben und es macht… Es macht NIX!!!
Die Erde dreht sich weiter. Mein Leben geht weiter. Die Weltgeschichte nimmt keine Notiz davon.
Es ist okay, wenn ich eine Meinung habe und feststelle, dass ich damit allein dastehe.
Es ist okay, wenn ich mein Ding mache.
ICH bin okay. Egal wie.
Und du so?
Wer bist du?
Wofür stehst du?
Weißt du, wie es ist, zu deiner Meinung zu stehen?
Es gibt genau eine Möglichkeit, das herauszufinden. Du musst einen Konflikt zulassen, aushalten und durchstehen – um dann zu merken, dass du nicht zerstört wirst, sondern wächst.
Ich glaube, dass die Auseinandersetzung uns erst zu eigenständigen Menschen macht. Zu diesem Zweck hat der liebe Gott die Pubertät erfunden. Dummerweise ist die bei mir wegen verschiedentlicher psychischer Probleme nicht als klare Auseinandersetzung mit meinen Eltern und als letztliche Abgrenzung abgelaufen, sondern als hilfloses Durcheinander ohne Ende. Und daher musste ich da in meinen Zwanzigern noch manches nachholen. Aber schließlich war ich frei.
Wie gehst du mit Konflikten um?
Die Idee zu diesem Artikel entstand aus einem Aufruf von Christina Wenz zu einer Blogparade – ihr Thema lautet „Konflikte als Chance“.
Nachdem ich den heutigen Blogbeitrag fertig hatte, stellte ich fest:
Das war überhaupt nicht das, was ich eigentlich zu diesem Thema schreiben wollte.
Mist, Themaverfehlung!
Deswegen probiere ich es nächste Woche nochmal.
Manchmal braucht es einfach mehr als einen Anlauf, bis etwas wirklich passt.