Konflikte als Chance

Christine Winter // Kommunikationsprobleme

15. Oktober 2015  

Die heutige Ãœberschrift stammt von Christina Wenz. Auf ihrem Blog mediation-wenz.de findet zur Zeit die Blogparade „Konflikte als Chance“ statt.

„Blogparade“ heißt, dass zur gleichen Zeit auf ganz unterschiedlichen Blogs Artikel erscheinen, die sich um da gleiche Thema drehen – aber oft ganz unterschiedliche Blickwinkel haben.

Tja, und damit sind wir dann auch schon beim heutigen Artikel…


Wir Blogger machen bei einer Aktion mit, die zum Ziel hat, verschiedene Ansichten zu sammeln – jeder behandelt das Thema aus der Sicht, aus der er auch sonst bloggt.

Natürlich können und wollen wir uns in so einer Blogparade nicht darüber streiten, wer recht hat. Sondern wir freuen uns darüber, in den unterschiedlichen Blogs der Kollegen Meinungen und Informationen zu entdecken, auf die wir selber nie gekommen wären. Für mich ist das eine tolle Sache, an der ich mich immer gerne beteilige.

Und meine wichtigste Erkenntnis ist: Jeder hat aus seinem Blickwinkel aber sowas von Recht – selbst wenn ich dazu eine völlig andere Ansicht vertrete.

Meinungsverschiedenheiten sortieren die Leute

Ich sag’s ganz offen: Nachdem ich meine ersten Blogartikel verfasst hatte, war ich absolut überzeugt davon, dass jeden Moment eine fürchterliche Diskussion in den Kommentaren oder den sozialen Medien über mich hereinbrechen würde. Schließlich hatte ich meine Meinung ins Internet gestellt und die ganze Welt konnte sie lesen.

Eineinhalb Jahre später kann ich sagen, dass ich ausschließlich positive Reaktionen bekommen habe – und zwar vor allem zu Aussagen, die mir schwer über die „Veröffentlichen“-Schaltfläche gekommen sind.

Bestimmt dachten immer wieder mal Leser, dass ich Quatsch schreibe. Vielleicht haben manche davon ihr Lesezeichen gelöscht und sind nie wieder hier vorbeigesurft. Dann war die Meinungs-Unterschiedlichkeit einfach zu groß. Das ist völlig okay.

Es gibt nämlich immer auch Leser, die genau aus dieser Meinung einen großen Gewinn gezogen haben. Und wenn ich nicht auf „Veröffentlichen“ geklickt hätte, dann hätte ein Leser den Impuls nicht bekommen, der bei ihm genau im richtigen Moment einen neuen Gedanken, eine Idee ausgelöst hat.

Ich habe durch den Blog die wichtige Erfahrung gemacht, dass mir niemand für meine ehrliche Meinung den Kopf abreißt. Je ehrlicher ich bin, desto leichter treffe ich auf Menschen, die zu mir passen.

Verschiedene Meinungen sind nötig, damit sich die Leute passend zu einander sortieren können.

Meinungs-Verschiedenheit entsteht oft aus Missverständnissen

Findest du es nicht merkwürdig, dass jeder erwartet, etwas zu sagen und von allen genau so verstanden zu werden, wie er es gemeint hat?

Unsere Sprache – so schön und vielschichtig sie auch ist – ist ein wildes Durcheinander von Symbolen, Metaphern, Analogien, Mehrdeutigkeiten etc.

Kurz gesagt: Was für mich das Wort „Freiheit“ bedeutet hat mit allergrößter Sicherheit wenig mit der Bedeutung zu tun, die du „Freiheit“ gibst.
Und nebenbei gesagt gilt für „Sicherheit“ natürlich das Gleiche.

Wenn ich „Stuhl“ sage, sehe ich vor meinem inneren Auge etwas, was sich unter Umständen deutlich von deinem Bild von einem Stuhl unterscheidet.

Und was für dich ein „ausgewachsener Konflikt“ ist, ist für mich wahrscheinlich eine „spannende Auseinandersetzung“.

Sprechen ist der Versuch, trotz unendlich vieler Möglichkeiten für Missverständnisse die entscheidenden Informationen zu rüberzubringen. Nix weiter.

Hinspüren – da ist etwas unklar

Es ist Erfahrungssache, zu erkennen, wann die Information, auf die es gerade ankommt, beim Anderen angekommen ist.
Wenn sie „auf der Strecke geblieben“ ist, dann braucht es einen neuen Anlauf. Und das heißt nicht, dass der erste Versuch schlecht war, sondern nur, dass er nicht auf Anhieb bis ins Ziel geführt hat.

Tatsächlich ist das Pingpong-Spiel eines guten Small-Talk genau dazu da, einem (im Small-Talk nicht so wichtigen) Thema immer wieder einen neuen Schubs zu geben, um in kleinen Schritten mehr über die Inhalte zu erfahren. Aber vor allem geht es darum, ein noch besseres Gespür für den Gesprächspartner zu entwickeln.

Und während man sich so auf einander einspielt, merkt man immer leichter, ob eine Aussage treffend war oder ob sie noch einen weiteren Schubs braucht.

Ein Gespräch dient dazu, Information treffend zu vermitteln. Das geht genau genommen fast immer schief – und bietet die Gelegenheit, sich weiter zu unterhalten.

Du bist IMMER okay

Ich dachte früher immer, dass ich verkehrt bin, wenn mich jemand falsch versteht. Jetzt wo ich das so schreibe, kommt es mir ziemlich paradox vor – aber es war meine unumstößliche Überzeugung.

Dieser Gedanke, dass ich mich auf Anhieb verständlich ausdrücken müsste, weil ich sonst aller Welt zeige, dass ich nichts kann, hat mich blockiert.
Ich hatte viele wertvolle Ideen, Erkenntnisse und jede Menge Wissen über alles Mögliche – und ich habe nichts gesagt.
Jahrelang.

Zu spüren, dass mich jemand falsch verstanden hat, war für mich das größte persönliche Versagen überhaupt. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden – und die Lösung war, nichts zu sagen (obwohl ich es gekonnt hätte, denn die Blockade namens Mutismus hatte ich schon überwunden).

Was für ein Quatsch. Was für eine Zeitverschwendung.

Heute weiß ich, dass ich auch mit den wildesten Meinungen völlig okay bin. Denn ich bin einer gewaltigen Verwechslung aufgesessen:

Ich dachte, dass es ein Fehler in meiner Persönlichkeit ist, wenn irgendjemand eine andere Meinung als ich hat. Und ich dachte, ich wäre falsch, wenn ich falsch verstanden wurde.

Es geht um den Inhalt. Es geht nicht um deine Persönlichkeit.

Wenn du eine Meinungsverschiedenheit erspürst – und ich weiß, dass du darin verdammt gut bist – geht es um Meinungen über den Inhalt zu einem Thema.

Es geht nicht um dich als Person.

Denn du BIST nicht deine Meinung.
Jemand kann deine Meinung Scheiße finden und dich trotzdem respektieren.

Du bist auch nicht dein Verhalten.
Jemand kann kritisieren, was du tust oder getan hast und dich trotzdem wertschätzen.

Du bist nicht was du sagst.
Selbst wenn du im Eifer des Gefechts etwas sagst, was viele andere Menschen für falsch halten, bist DU immer noch richtig. Denn: Es ist deine Meinung. Und du bist nicht deine Meinung.

Nebenbei gesagt kann man Meinungen auch jederzeit ändern. Sogar innerhalb einer Auseinandersetzung.

Jede Auseinandersetzung gibt dir die Chance, deine Meinung an der Meinung eines anderen zu reiben. Und Reibung erzeugt Hitze, das ist normal.
Reibung erzeugt auch Glanz.
Und eine heiße Diskussion kann durchaus etwas aufblitzen lassen, was bisher nie zu sehen war.

Du bist nicht, was du sagst. Also sag, was du denkst.

Indem du sagst, was du in diesem Moment für wahr hältst, kannst du dich auseinandersetzen und dabei gewinnen.


Fünf Schritte für erkenntnisreiche Auseinandersetzungen:

  1. Spür dich. Sei präsent – mit allen Sinnen.
  2. Sage, was für dich stimmt. Deine Wahrheit ist immer wahr – egal was jemand darüber denken könnte.
  3. Höre genau zu, was die Wahrheit des anderen ist.
  4. Spür dich. Das ist der wichtigste aller Schritte!
  5. Sage, was für dich stimmt und berücksichtige dabei die Wahrheit des anderen.

Der fünfte Schritt ist, was ich mir unter einer Auseinander-Setzung vorstelle:
Ich verstehe meine Wahrheit, mein Bedürfnis, mein Argument. Und ich verstehe die Wahrheit, das Bedürfnis, das Argument des Anderen.
Ich spüre, was für mich stimmt. Und das ist meine Antwort.

Ein Konflikt ist die Chance, die eigene Position zu finden, indem man dem Anderen erlaubt, seine Position darzulegen.

Verständnis hat Grenzen

Es gibt Auseinandersetzungen, die haben keine Lösung.
Und doch empfinde ich es meistens als Gewinn, wenn ich mehr von der Wahrheit des Anderen erfahren habe.

Es gibt aber auch Auseinandersetzungen, die haben für mich keinen Sinn mehr. Sie verschlingen meine Energie, ohne dass ich dadurch mehr über mich und den Anderen verstehe. Sie sind nicht  sachlich, sondern sie greifen mich als Person an. Es geht nicht mehr um gegenseitiges Verständnis, sondern nur noch darum, Recht zu behalten.
Und dann erlaube ich mir, aus dem Konflikt (und oftmals auch aus dem Kontakt) auszusteigen.

Zu einem Konflikt braucht es mindestens zwei. Steig aus, sobald es persönlich wird.

Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine

Christine

PS: Das ist der zweite Artikel zum Thema „Konflikt“ – mit dem ersten war ich letzte Woche nicht so richtig zufrieden, aber wenn du ihn trotzdem lesen möchtest:
Auseinandersetzung ist nichts Schlimmes