Was mir Corona über mich beigebracht hat

Christine Winter // Persönliche Entwicklung

13. September 2020  

Falls du das C-Wort und das K-Wort schon nicht mehr hören kannst...

Tut mir leid. Dann ist der nachfolgende Text nichts für dich. Und es wäre mir lieb, wenn du ihn nicht liest, denn ich möchte dir mit "Corona" und "Krise" ganz bestimmt keinen zusätzlichen Stress machen.

Aber für mich selbst ist es Zeit, jetzt - genau sechs Monate, nachdem der Freitag der 13. (März) meine Welt umgekrempelt hat - nochmal auf meine persönlichen Erkenntnisse dieser ungewöhnlichen Zeit schauen.

Stress entsteht nicht im Außen

Klar hatte (und habe) ich Momente, in denen mir "Corona" ziemlich zusetzt und mein Körper ganz unmittelbar mit Stress reagiert. Dann wird mein Atem flacher, meine Muskeln (vor allem im Nacken) starrer, mein Haltung vorneübergebeugter und mein Blutdruck höher. Daraus schließt mein Nervensystem, dass ich in großer Gefahr bin und macht mit Hormonen und Botenstoffen in meinem Gehirn lauter Gedanken und Gefühle, bei denen es nur noch ums blanke Überleben geht.

Dabei ist "Corona" nur ein Gedanke. Ein flüchtiger Geistesblitz. Oder ein Medienbeitrag. Oder die Durchsage im Supermarkt. Oder der Mensch mit Mund-Nasen-Schutz, der draußen vor meinem Fenster vorbei läuft...

Der Stress hat gar nichts damit zu tun, ob ich in irgendeiner Weise wirklich in Gefahr bin. Die Gedanken, die mir durch den Kopf flitzen, erzeugen ihn - und wenn sich so ein Stress-Gedanke in einer Endlosschleife in meinem Hirn verknäuelt, dann reagiert mein Körper so, als ob ich in ganz konkreter akuter Lebensgefahr bin.

Das fühlt sich dann an wie Angst. Und es ist definitiv eine Überforderung. Manchmal entsteht daraus ein Gefühl von Panik. (Und weil mein Organismus gewöhnt ist, mich davor zu schützen, lande ich dann unvermittelt in einer Blockade. Denn so spüre ich die Panik-Symptome nicht mehr... Und mein Körper tut alles, um mich zu schützen.)

Alles, weil ein Gedanke mir zusetzt.

Das C-Wort ist (egal in welchem Zusammenhang) ein solcher "Trigger" für Stress, der wieder und wieder mein nervliches Notfall-Programm startet.

Nun hatte ich ein halbes Jahr Zeit, um einen besseren Umgang mit meinen Trigger-Gedanken zu lernen. (Und ich bin längst noch nicht zufrieden mit dem Ergebnis - aber ich lerne immer weiter...)

Was ich bisher gelernt habe, ist:

  • Wenn ich weiter gleichmäßig atme, dann merkt mein Körper, dass "wir" - also mein automatisch reagierender Körper und mein bewusst denkendes Ich - in Sicherheit sein müssen. Denn wenn wirklich mein Leben bedroht wäre, würde ich nicht in aller Ruhe ausatmen.
  • Je seltener ich mich mit meinem Gedanken-Trigger konfrontiere, desto geringer ist mein Stress-Level. Also achte ich darauf, nur einmal am Tag bewusst und konzentriert Nachrichten zu hören. Das reicht, um informiert zu sein, aber es gibt mir 23 Stunden Zeit pro Tag, um meine Gedanken mit etwas anderem zu beschäftigen.
  • Falls ich mich mal doch sehr viel mit Sachen beschäftigt habe, die mich überhaupt nicht persönlich bedrohen, und dadurch eine leise Angst in mir spüre, mache ich mir bewusst, dass mein Gefahren-Sensor auf etwas reagiert, das nicht real (für mich) ist. Und danach achte ich auf die Dinge, die für mich real sind LINK mit der 54321-Methode.
Der Köper reagiert unbewusst und ziemlich drastisch auf Stress. Das ist von der Natur so eingerichtet, um im Falle einer Bedrohung mein Leben um jeden Preis zu schützen. Damit der Körper nicht im Dauer-Ausnahmezustand bleibt, kann ich aber bewusst Entscheidungen treffen, die den Stress reduzieren.

Krise ist, wenn sich ein Thema am Wendepunkt zuspitzt

In der öffentlichen Diskussion sind wir in einer immerwährenden "Krise". Nicht erst seit CoViD-19 - irgendwo auf der Welt war immer in irgendeine "Krise", solange ich mich zurückerinnern kann.

Und mir scheint, dass durch den ständigen Gebrauch des Wortes mittlerweile die Bedeutung von "unendlicher Katastrophe ohne Ausweg" auf diesen Begriff übertragen wurde.

Aber genau genommen ist eine Krise kein Zeitraum, sondern ein Moment. Und zwar genau der Moment, in dem sich klärt, wie eine schwierige Situation ausgehen wird. Der Wendepunkt der Geschichte, sozusagen.

Wenn ich diese eine konkrete Krise, zu der mich das Corona-Virus (ganz individuell und persönlich) gebracht hat, betrachte, dann liegt die nun schon einige Wochen hinter mir.

Denn mein persönlicher Wendepunkt war der Moment, als ich akzeptiert hatte, dass das Virus für eine unbestimmte Zeit bleiben wird (mit all den offiziellen und individuellen Einschränkungen) und dass ich gerade deswegen vieles in meinem Leben verändern kann.

Von der Arbeit als Kommunikationstrainerin, wie ich sie bis Februar gemacht hatte, ist auf unbestimmte Zeit nichts mehr übrig. Im ganzen Hochschuljahr 2020/2021 wird es für mich höchstwahrscheinlich kein einziges Kommunikationsseminar in einem Seminarraum geben - und dadurch habe ich viel Zeit, um an ganz anderen Dingen zu arbeiten, die in dieser Zeit jetzt Sinn ergeben.

Im Moment der Krise - also dem Wendepunkt zwischen schwieriger Situation und konkreten Ideen für einen Ausweg - hatte ich nicht die allerleiseste Ahnung, was ich noch tun kann. Und DAS ist die Krise.

Unmittelbar danach haben sich Aufgaben einfach so ergeben. Manche wurden bezahlt (und eine wird sogar sehr gut bezahlt), andere waren ohne finanzielle Gegenleistung, aber in meinen Augen unendlich sinnvoll (und daher vielleicht sogar wertvoller als die bezahlten Sachen).

An all diese neuen Aufgaben hätte ich vor der Krise im Traum nicht gedacht. Sie erschienen mir völlig undenkbar. Nach der Krisen-Wendung sind sie nicht nur möglich geworden, sondern völlig logisch und ganz normal.

Die beste Erkenntnis für mich persönlich ist aber: Ich hatte überhaupt keine individuelle Katastrophe - in meinem eigenen Leben ist gar nichts katastrophales passiert. Ich hatte nur eine Krise, die mich gezwungen hat, neu festzulegen, was jetzt gerade dran ist.

Mein Learning zum Thema "Krise": Das ist der Moment, der das Leben in ein vergangenes "Früher" und ein neues "Jetzt" unterteilt. Und sobald ich im Jetzt angekommen bin, ist die Krise vorbei. Vielleicht sollten wir alle genau jetzt im Jetzt ankommen...

Neubeginn ist einfach(er), wenn niemand Schuld ist

Niemand kann etwas dafür, dass die Welt eine Pandemie erlebt. (Wenngleich es Menschen gibt, die zwanghaft "den Schuldigen" benennen müssen, weil sie die Angst nicht aushalten können, die es ihnen macht, wenn die Welt sich plötzlich und ohne konkreten Verursacher ändert.)

Niemand kann etwas dafür. ICH kann nichts dafür.

Es ist also so, wie es ist.

Kein Grund, in die Vergangenheit zu schauen, denn in der Vergangenheit gibt es keine Lösung und keine geeigneten Verhaltensweisen und keine bereits erprobten Erfahrungswerte.

Es ist irgendwie paradox. Aber für mich ist es jetzt leichter, Entscheidungen zu treffen, weil ich die aktuellen Rahmenbedingungen nicht selbst verursacht habe.

Ein Beispiel: Ich hatte bis zum Lockdown einen Auftraggeber für Seminare, der mich ganz ordentlich bezahlt hat. Aber ich habe mich bei diesen Aufträgen nie hundertprozentig wohl gefühlt. Die Teilnehmer waren nur mäßig interessiert, die Seminarräume ungemütlich, die Themenauswahl nicht so ganz mein Ding, die Organisatoren nicht besonders herzlich und manchmal außerdem noch ziemlich umständlich.

Ich war da nie gerne. Aber ich hatte zugesagt, dass ich das mache. Ich hatte mich bereit erklärt, dort zu arbeiten und ich hatte keinen konkreten Grund, damit aufzuhören. Denn ich hatte ja selbst diese Aufträge ausgewählt.

Seit mehr als drei Jahren war nach jedem Seminar der Gedanke da: "Mir wär's am liebsten, wenn ich da nicht wieder hin müsste." Und der andere Gedanke war immer: "Ich habe denen zugesagt und die verlassen sich auf mich."

Dann kam der Lockdown. Und mein Auftraggeber musste alles absagen. Und in dem Moment war mir völlig klar: Ich möchte dort nie wieder einen Auftrag annehmen. Jetzt ist genau der richtige Moment, um damit aufzuhören - denn jetzt hat niemand Schuld an der Veränderung.

Die Situation hat sich geändert. Daran ist kein Mensch schuld. Und genau das macht es leicht, jetzt die längst fälligen Entscheidungen zu treffen und dann unbelastet die neuen Wege zu erkunden, die sich eröffnen, sobald die alten Hindernisse nicht mehr im Weg sind.

Eine gute Zeit, um mal über Nähe, Distanz und Beziehung nachzudenken

Ein-Meter-Fünfzig.

Näher soll man möglichst niemand Fremden an sich ran lassen. Corona-Regel.

Ein-Meter-Fünfzig ist für mich ein Abstand, in dem ich mich - selbst mit Personen, die mir nahe stehen - sehr wohl fühle.

Für manche Menschen ist der gefühlt richtige Mindestabstand ein paar Zentimeter kleiner - so ungefähr Ein-Meter-Zwanzig. Alles was noch näher ist, wird von allen Menschen in unserem Kulturkreis als aufdringlich und unhöflich empfunden. (Die einzige Ausnahme bilden Liebespaare und Familienmitglieder - aber die dürfen ja trotz CoViD kuscheln, so eng und so lange sie mögen.)

Wenn mir jemand näher als Ein-Meter-Fünfzig kommt, merke ich nach wenigen Sekunden, dass mich das sehr stresst. Ich kann mich dann mit bewusster Anstrengung dazu bringen, nicht auszuweichen. Aber meine eigentliche instinktive Reaktion wäre, zwei Schritte zurückzutreten, um meinen Wohlfühl-Abstand wieder herzustellen.

Eine kleine von Herzen kommende Umarmung kann ich mittlerweile schon genießen - aber es gibt nur eine Handvoll Menschen, bei denen mir diese Nähe länger als drei Sekunden angenehm ist.

Fehlt mir physische Nähe...? Nö. Da hat sich wenig für mich verändert. Ich war noch nie gerne zu nah an Fremden dran.

Fehlt mir soziale Nähe? Also ein Treffen mit interessanten Menschen, die meinen Wunsch nach körperlichem Abstand respektieren und die mir trotzdem das Gefühl geben, dass wir uns gegenseitig tief berühren...

Ja, das fehlt mir manchmal. Die Gelegenheiten dafür sind seltener geworden.

Und dann verabrede ich mich mit diesen Menschen in einem Online-Meeting. Oder draußen bei einem Spaziergang. Bei mir daheim. Oder sogar in einem Cafè (wo es trotz Hygiene-Gedöns sehr gemütliche Begegnungen geben kann). Oder ich führe ein langes Telefongespräch mit jemandem.

Auch Schreiben ist ein Weg, um soziale Distanz aufzuheben und in eine enge persönliche Beziehung zu gehen. Oder die Gedanken zu lesen, die eine andere Person geschrieben hat...

Wenn die ganze Welt in Aufruhr ist, darf ich meine eigene Welt klein und überschaubar halten

Meine kleine Welt besteht aus meinem Home-Office, meinem Wohnzimmer, meinem Balkon und dem Dorf drumherum.

Corona ist hier nur etwas, das sich im Supermarkt, der Apotheke, der Arztpraxis durch Hygiene-Regeln auswirkt. Einen offiziellen positiv auf Corona getesteten Einwohner hat es in dieser Gemeinde in den letzten Wochen nicht gegeben. Dennoch bleibt es wichtig, dass wir uns an die Regeln halten - sie sind unsere persönliche Möglichkeit, der Krankheit entgegenzutreten.

In meiner kleinen Welt ist Corona eher eine Randnotiz. Spielt keine reale Rolle, ist aber zweifelsfrei dennoch da.

Die große Welt hat durch die Pandemie hingegen jede Menge große Probleme. In Brasilien und Indien und den USA gibt es unzählige (ganz unterschiedliche) schwierige Situationen, die Millionen von Menschen in deren kleiner Welt herausfordern. Und wenn ich online durch den Nachrichten-Ticker der Tagesschau scrolle oder die Abendnachrichten im Fernsehen kucke, dann scheint die ganze große Welt eine einzige Katastrophen-Zone zu sein.

Aber jeder einzelne Mensch auf der Welt lebt vor allem in seiner eigenen kleinen Welt. Und hat dort seine eigenen Probleme zu lösen, die nicht von der Tagesschau gemeldet werden. Für die allermeisten von den knapp acht Milliarden Menschen der großen Welt ist jetzt gerade ganz normaler Alltag, der keine Meldung wert ist.

Wenn ich keine Welt-Nachrichten lese oder kucke, sondern nur das betrachte, was mich persönlich und unmittelbar angeht, dann ist meine kleine überschaubare Welt sehr gut, sicher und entspannt. Und Corona ist hier natürlich ein Fakt, aber keine Katastrophe.

Urlaub ist ein Zustand, kein Ort

Reisen ist anstrengend - das habe ich immer schon so empfunden. Und ich fand es immer der Mühe wert, weil es mich so sehr bereichert und meinen Blick auf den Alltag weitet. Trotzdem waren neue Orte und fremde Situationen immer auch eine Herausforderung für mich.

CoViD-19 hat zu den normalen Anstrengungen des Reisens noch eine riesige Unsicherheit hinzugefügt. Damit meine ich jetzt gar nicht das Ansteckungsrisiko, sondern vor allem die verschiedenen Regeln in unterschiedlichen Regionen und überhaupt im öffentlichen Raum. Das ist anstrengend. Und daher fiel mir die Entscheidung sehr leicht: Urlaub woanders kommt in diesem Jahr nicht in Frage.

Dann habe ich überlegt, was für mich "Urlaub" eigentlich bedeutet.

Für mich ist Urlaub...

  • erst Aufstehen, wenn ich wirklich ausgeschlafen habe,
  • Frühstücken, so lang ich mag,
  • in einem Liegestuhl Zeit mit einem Buch verbringen, bis ich nicht mehr lesen will oder liegen kann,
  • einen kleinen Spaziergang machen (aber nur so lang, dass ich mich nicht erschöpfe),
  • nach dem Abendessen ein Glas Wein genießen, am liebsten im Freien in der Abenddämmerung.

Und genau diesen Urlaub habe ich in diesem Sommer gemacht. Zweimal. Für jeweils zwei Wochen. Ohne zu verreisen.

Ich fühle mich erholt wie lange nicht. Obwohl (oder gerade weil) ich nie weiter als zehn Kilometer von meinem eigenen Balkon entfernt gewesen bin.

Was ich daraus gelernt habe, ist: Wenn ich mir die Zeit nehme, um meine wirklichen Bedürfnisse zu klären, dann kann ich mir genau das erfüllen, was ich brauche - und alles weglassen, was nervt oder stresst. DAS ist Urlaub. 🙂

Sehe ich das zu positiv?

Falls du dir jetzt denkst: "Das klingt alles ziemlich absichtlich durch die rosarote Brille betrachtet..."

Dann muss ich dir recht geben.

Warum sollte ich es denn durch die grau-in-graue Brille anschauen, wenn ich mir doch jede Farbe aussuchen kann, die mir gefällt?

Ich bin gesund, munter und guter Dinge. Meine kleine Welt ist sicher nicht perfekt, aber absolut in Ordnung. Ich bin nach einem Sommer mit vielen Urlaubs-Momenten gut erholt. Und es gibt aktuell keine Krise und keine Katastrophe in meinem Leben.

Wie ist das bei dir? Was siehst du, wenn du die grau-in-graue Brille mal absetzt und deine kleine, persönliche Welt wohlwollend betrachtest?

Lass mir gerne einen Kommentar da.
Und dann: Tu dir gut.

Deine

Christine