Wie du auf verständnislose Aussagen reagierst hängt davon ab, ob du als Beobachter dabei bist oder ob du selbst in der Blockade steckst.
Reaktion als Betroffene
Wenn ich als Kind in der Blockade war und meine Mutter über mich sagte „Sie ist halt zu stur, um zu antworten,“ dann habe ich das natürlich mitbekommen, auch wenn ich „abwesend“ aussah. Aber ich war in dem Moment emotional nicht beteiligt, sondern habe es gehört, als ob ich ganz weit weg gewesen wäre.
Sobald die Blockade nachgelassen hatte, fingen dann meine Gedanken an, um diese Aussage zu kreisen. Stundenlang, manchmal über Tage…
Und an manchen Aussagen von Menschen, die mir nahe standen, knabbere ich bis heute.
Das Problem ist: Für Leute, die so eine Bewertung abgeben, ist das Thema in dem Moment, in dem sie keine erkennbare Reaktion bekommen, abgehakt.
Bis ich Tage später bereit gewesen wäre, mich zu verteidigen, gab es längst keine Möglichkeit mehr, die Sache nochmal aufzugreifen.
Zur Verteidigung meiner Mutter muss ich sagen, dass sie vom Selektiven Mutismus zum ersten mal hörte, als ich schon fast vierzig war.
Sie hat über mich als Kind das ausgesagt, was sie wahrnehmen konnte – und das war „stures Schweigen“.
Weil solche Fragen oft sehr individuelle Antworten erfordern, führe ich in regelmäßigen Abständen kostenlose Webinare - also Live-Veranstaltungen im Internet - durch, bei denen ich Antworten gebe und Themen rund um Selektiven Mutismus vertiefe.
Reaktion als Beobachter
Eltern, die vom Mutismus ihres Kindes wissen, bekommen von allen Seiten Bewertungen über ihr Kind zu hören. Am allermeisten verletzt da wohl: „Die ist nicht krank, die ist nur schlecht erzogen!“
Das verletzt – und zwar, weil es den Eltern die Schuld zuweist. (Und es trifft bei vielen Eltern den wundesten aller Punkte, weil sie sich schon oft selbst gefragt haben, ob sie am Mutismus ihres Kindes schuld sein könnten.)
Die Kommunikationstrainerin in mir würde jetzt empfehlen, unter vier Augen mit echtem Interesse zu erfragen, was der andere mit seiner Aussage genau meint. So manche „Argumente“ erledigen sich selbst, wenn sie genügend Raum bekommen, um sich als ausgemachter Blödsinn zu erweisen. 😉
Ich weiß aber, dass du keine Kommunikationstrainerin bist, sondern als ziemlich verletzte Beteiligte in einer ziemlich vertrackten Situation steckst. Denn in der Regel steht der betroffene Mutist in einer akuten Blockade neben dir und hört sehr genau hin, was du nun machst.
Du hast also zwei Ansprechpartner, für die du die richtige Antwort finden musst… Das ist echt schwierig…
Die beste Idee für eine Antwort, die dem Betroffenen und dem ahnungslosen Gegenüber gerecht wird, habe ich im Zusammenhang mit dem Brave-Buddies-Konzept kennengelernt:
„Ja, Peter kann sehr gut sprechen – wir haben uns vorhin gerade über … unterhalten. Er arbeitet am Sprechen vor Leuten und er ist jetzt noch nicht so weit, um vor dir/Ihnen/in dieser Gruppe etwas zu sagen.“
Damit ist für den Gesprächspartner alles gesagt.
Was aber viel wichtiger ist: Du gibst dem Mutisten, der trotz Blockade sehr genau hinhört, ganz wichtige Botschaften:
- Du weißt, dass er sprechen kann. Und du hast ein für alle mal klargemacht, dass er weder stumm noch dumm ist.
- Du sagst, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er überall sprechen wird. Du glaubst an ihn. Uneingeschränkt.
- Du nimmst den Druck raus, dass er sofort antworten muss. Er arbeitet daran. Punkt.
Das wichtigste Wort ist übrigens das „und“.
Würdest du es durch ein „aber“ ersetzen, dann verliert die Aussage ihre ganze Kraft. Denn dann würdest du ja sagen, dass du jetzt noch nicht an den Erfolg glaubst.
Und es gibt keinerlei Grund, nicht an den Erfolg zu glauben. 🙂