Musst du dir Sorgen machen?

Christine Winter // Persönliche Entwicklung

15. März 2020  

Das Corona-Virus ist in den letzten Tagen offiziell zur Pandemie – also einer weltweiten Gesundheitskrise – erklärt worden.

Das war überhaupt nicht (mehr) überraschend. Es hatte sich schon vor Wochen abgezeichnet.

Gleichzeitig mit dem offiziellen Entschluss, dass die Welt nun ein globales Problem hat, sind aber auch eine ganze Menge Dinge entschieden worden, mit denen dieser zunächst ganz unsichtbare und dadurch nicht (be-)greifbare COVID-19-Virus unseren ganz persönlichen Alltag direkt und ziemlich heftig betrifft.

Ich werde jetzt hier nicht schreiben, wie du dich im Hinblick auf das Virus verhalten sollst. Dafür gibt es die offiziellen Quellen wie beispielsweise das Bundesgesundheitsministerium.

Ich werde auch nicht schreiben, wie das ganze weitergehen wird. Auch dafür gibt es eine hervorragende von Montag bis Freitag täglich aktualisierte Quelle, nämlich den Podcast „Corona Virus Update“ vom NDR.

Sondern ich will den Anlass nutzen, um mal ganz allgemein über das Sorgen machen nachzudenken.

Sorgen kommen aus dir heraus und nicht von draußen in dich rein

Wenn du dir Sorgen machst, dann kommt es dir so vor, als ob du gar nicht anders könntest – da sind diese Sorgen und sie gehen auch nicht wieder weg, sondern werden umso intensiver, je länger du sie im Kopf hast.

Und du kannst ja auch nichts dafür. Es gibt ein Ereignis, eine Krise, eine Nachricht oder irgendeinen anderen Auslöser, auf den dein Gehirn mit Sorge reagiert.

Aber, ob du es glaubst oder nicht: Die Sorge kommt nicht von außen.

Du MACHST dir Sorgen

Unsere Sprache ist da ganz klar: Im Deutschen „kriegt“ man keine Sorgen, sondern „man macht sich Sorgen“. Selber. Von sich aus.

Das ist korrekt beschrieben.

Die Sorge ist das, was du selbst in dir erzeugst, wenn es irgendeinen Auslöser gibt, der dir Gefahr signalisiert. (Es ist dabei völlig egal, wie wahrscheinlich oder real oder konkret diese Gefahr ist – für das Sorgen-Machen reicht eine ganz abstrakt irgendwie gefährliche Situation.)

Das Sorgen-Machen passiert nicht bewusst

Du hättest definitiv etwas besseres zu tun, als dir deinen Kopf mit Sorgen vollzustopfen. Aber du wirst ja gar nicht gefragt, ob du Sorgen haben willst. Das Sorgen machen passiert einfach – so ist dein Gehirn „programmiert“.

Denn in einer Zeit (die noch gar nicht lange her ist) als es keine News-Apps auf Smartphonen und Internet-Nachrichtenportale und Endlos-Liveberichterstattungen im Fernsehen und Radio gab, war eine Gefahr, wenn man sie erst mal bemerkt hatte, schon ziemlich konkret.

Anders ausgedrückt: Wenn vor hundert Jahren der Nachbar erzählt hat, dass alle im Dorf krank sind, dann konnte man davon ausgehen, dass es ein ernstes Gesundheitsproblem direkt am eigenen Wohnort gibt.

Heute ist das anders. Heute kriegen wir die Information nicht von unserem Nachbarn über das, was hier in unmittelbarer Nähe passiert, sondern über Geschehnisse auf der ganzen Welt, die mit dem konkreten Leben hier vor Ort überhaupt keinen direkten Zusammenhang haben.

Für das Gehirn macht das keinen Unterschied. Es reagiert auf jede Nachricht von drohender Gefahr genau so, als ob das Problem genau hier auf der Türschwelle der eigenen Wohnung lauert. Und weil das gar nicht bewusst passiert, sondern im Gehirn-Betriebssystem als automatische Sicherheits-Maßnahme festgelegt ist, kannst du dieser Reaktion auch mit Logik ganz schlecht beikommen.

„Neu“ und „irgendwie gefährlich“ ist Sorgen-Futter

Weil das Gehirn dein Leben schützen will und nicht berücksichtigt, dass es eine Rolle spielt, wo die Gefahr stattfindet, reagiert es auf zwei Auslöser besonders heftig:

1. Es gibt eine Neuigkeit.

Was neu ist, hat immer Priorität vor dem, was du bereits kennst.

Daher reagierst du auf „Breaking News“ instinktiv mit deiner vollen Aufmerksamkeit und bist – egal was es ist – sofort alarmiert.

2. Irgendwie könnte das gefährlich werden.

Wie genau die Gefahr drohen könnte, das wird sich dein Gehirn relativ schnell (und nicht unbedingt besonders sachlich oder logisch) zusammenreimen.

Und dann ist es recht wahrscheinlich, dass deine Kreativität zu Hochform aufläuft und sich Sachen ausmalt, auf die die Realität nie im Leben kommen würde.

Wenn wir also festhalten, dass neue und irgendwie gefährliche Infos die Sorgen füttern, ist die unendliche Verfügbarkeit von Nachrichten (aber auch von Thrillern, Dramen und Reality-TV „zur Unterhaltung) eine enorme Sorgen-Falle.

Problem dabei: Dein (Steinzeit-)Gehirn bringt dich durch stimulierende Botenstoffe dazu, dass du auf jede Gefahr sofort besorgt reagierst. Denn in früheren Jahrtausenden war das ein echter ßberlebens-Vorteil. Heute macht diese Stimulation allerdings News-Abhängigkeit und Dauerstress. Denn was dein Gehirn dir gibt, ist keine „Belohnung“, die dir Freude bereitet. Was du permanent durch die Gehirn-Reaktion auf News erneuerst ist deine hohe Sensibilität für die leisesten Vorboten von noch mehr Bedrohungen.

Was lässt du alles rein, obwohl es dir NUR Sorgen macht und nichts bringt?

Ich gebe dir mal eine Checkliste von möglichen Sorgen-Futter-Quellen:

  • Nachrichten im Fernsehen
  • Nachrichten-Apps (womöglich auch noch mit Push-Benachrichtigungen)
  • Nachrichten im Radio, auch wenn du sie nur nebenbei laufen lässt
  • Nachrichten-Internetportale
  • Kommentarbereiche unter Nachrichtenmeldungen
  • Twitter-Nachrichten
  • Diskussionen über Nachrichten in sozialen Netzwerken
  • Zeitschriften und Zeitungen mit reißerischen und dramatisierenden Artikeln
  • Ãœberschriften ohne tiefere Information (z. B. auf Monitoren in der U-Bahn oder am Bahnhof)
  • Schock-Fotos aller Art
  • Fiktive Geschichten (Filme, Serien, Bücher) mit emotional schwierigen Inhalten

Gibt es Medien, die dich dazu bringen, sie immer wieder in kurzem Abstand zu kucken? Oder gibt es etwas, das dich in einen Sog von immer mehr News hineinzieht? Wirst du nervös, wenn die Neuigkeiten-Quelle für ein paar Minuten versiegt? Fühlst du dich abgeschnitten von der Welt, wenn du für eine Weile konzentriert bist, ohne News zu bekommen?

Dann ist dein Gehirn in einem Dauerstress, der dich nicht mehr auf reale Gefahr reagieren lässt, sondern jegliche Information als bedrohlich (und gefühlt lebensgefährlich) darstellt. Und um am Leben zu bleiben, musst du noch mehr Neuigkeiten konsumieren.

Lass es uns beim Namen nennen: Du bist News-süchtig.

​Aber man muss doch informiert bleiben…

Irgendwie ist in den letzten paar Jahren in allen Menschen der westlichen Welt die ßberzeugung entstanden, dass alles, was es als Nachricht in die Medien schafft, von jedem einzelnen Menschen konsumiert werden muss.

Das wäre so, als wenn alles, was es in die Regale eines Supermarktes schafft, von jedem einzelnen Menschen konsumiert werden müsste.

Seien wir ehrlich: Von den 60.000 Produkten, die große Einzelhandelsgeschäfte zu verkaufen haben, kaufst du vielleicht so um die fünfzig Artikel regelmäßig – weil sie dir gut tun und schmecken und in deinen Alltag und dein Leben passen. Denn natürlich kaufst du nach deinem Bedarf und deinen Vorlieben ein. Was da nicht reinpasst, wird bestenfalls einmal probiert – und dann hast du gute Gründe, es nächstes mal wieder oder nie mehr wieder zu kaufen.

Bei Nachrichten ziehst du dir alles rein, was der Markt hergibt.

Nachrichten-Junkfood und schnelle inhaltsleere Snacks und Sachen, die dir ewig im Magen liegen… Alles durcheinander. Von Zeit zu Zeit ist auch mal etwas nahrhaftes dabei – aber…

Die erste Frage ist: Welche Information brauchst du?

​Die zweite Frage ist: Welche Information brauchst du wirklich – jenseits von „aber man muss doch…“?

​Die dritte Frage: Welche Art, dich zu informieren tut dir gut? Wo ist die Grenze, die dir nicht mehr gut tut? Wie schaffst du es, diese Grenze einzuhalten?

Die vierte Frage ist dann: Was machst du nun mit den Informationen – wie finden sie ihren Raum in deinem konkreten Leben?

Wenn du Verantwortung trägst, ist das Sich-Sorgen nicht überflüssig

Menschen in Verantwortungs-Positionen sind für’s (Vor-)Sorgen für andere und sich selbst da. Das betrifft Vorgesetzte ebenso wie Eltern. Es betrifft jeden Teilnehmer am Straßenverkehr und jeden, der eine gefährliche Maschine bedient. Und es betrifft Lehrpersonal genauso wie Medizinpersonal oder Sicherheitspersonal oder… oder… oder…

Das heißt aber nicht, dass sich jeder in einer verantwortlichen Position rund um die Uhr von Sorgen dir Ruhe rauben lassen soll.

Verantwortungs-Profis machen sich mit der Gefahr (und den Sicherheitsmaßnahmen) vertraut. Sie versorgen sich angemessen mit allen nötigen Informationen, halten sich auf dem Laufenden und verlassen sich auf die eigene Kompetenz.

Wenn Information aber nur noch Sorgen macht und keine Verbesserung mehr bringt, dann handelt es sich um bloßes Sorgen-Futter (siehe oben). Davon dürfen sich die Verantwortlichen niemals die wertvolle Zeit rauben lassen.

Wenn da eine reale und konkrete Gefahr für DICH ist, ist Gefahr-Bewusstsein lebenswichtig

Das ist dir sonnenklar: Du bist in Gefahr und handelst.

Ob du dir zunächst Sorgen machst oder ob du den Teil ganz überspringst und sofort zu den Maßnahmen übergehst, hängt davon ab, was das Problem ist.

Wenn jemand, für den du Verantwortung übernimmst, in realer und konkreter Gefahr ist, ist Handeln angesagt

Den Schritt mit dem Sorgen machen kannst du in dem Fall komplett weglassen.

Dein Kind, Partner, Elternteil, Freund oder Nachbar ist in Schwierigkeiten und du kannst helfen? – Dann tu es.

Unser Informations-Dilemma: Wir wissen mehr als uns gut tut

Wir hatten noch nie so schnell, leicht und vielfältig Zugang zu Nachrichten, Informationen und Wissen.

Und wir hatten noch nie so viel Mühe und Stress, mit dieser Vielfalt und Geschwindigkeit klarzukommen.

Drei Lösungsansätze

  1. Die Siebe des Sokrates sowohl für Output als auch für Input anwenden

    Es gibt da diese Geschichte über den Philosophen Sokrates. Die bezieht sich darauf, was wir jemandem erzählen.

    – Wenn etwas nicht (überprüfbar) wahr ist, sollten wir es nicht weitertratschen.
    – Wenn etwas nichts Gutes bringt, sollten wir es für uns behalten.
    – Wenn es nicht notwendig ist, jemanden damit zu belasten, dann sollten wir denjenigen damit nicht belasten.

    Das nennt man die „Drei Siebe des Sokrates“.
    Und ich denke, die Fragen kann man auch als Siebe für alle Informationen anwenden, die man bekommt:
    – Ist es (überprüfbar) wahr?
    – Ist es für irgendetwas gut?
    – Ist es notwendig, sich damit zu beschäftigen?

    Drei mal „Nein“? – Dann hast du bestimmt etwas sinnvolleres zu tun…
  2. Regelmäßige Zeiten ohne fremde Ideen

    Es wird nicht ganz ohne Informationen gehen – schließlich kannst du nur entscheiden, was du wissen musst, wenn du weißt, was es zu wissen gibt.

    Aber das muss nun wirklich nicht rund um die Uhr sein.

    Du kannst zum Beispiel morgens aufstehen und mit einem Blick aus dem Fenster feststellen, dass die Welt über Nacht nicht untergegangen ist. Und du kannst diese erste Zeit des Tages nachrichtenfrei verbringen, während du ganz entspannt in deinen Tag startest.

    (Ich halte mittlerweile eine Nachrichtensperre bis 11 Uhr ein und stelle fest, dass ich dadurch überhaupt nichts verpasse.)

    Und du kannst dir auch den Abend freihalten, indem du einige Zeit vor dem Schlafengehen alle News aussperrst und dich auf angenehmere Sachen fokussierst.

    (Für mich ist spätestens 20:15 Uhr Schluss mit Problem-Themen – was auch den Fernseh-Krimi und die Polit-Talkshows umfasst. Da verpasse ich auch nichts wichtiges – und wenn doch, gibt es ja die Mediathek zum Nachkucken am nächsten Tag zwischen 11 Uhr und 20:15 Uhr.)
  3. Ein Informations-Experiment während des ganzen Tages

    Bleib zu jeder Tageszeit einen Moment länger, als es dir angenehm ist, von News und Medien fern.

    Zähl bis zehn und atme dabei ruhig aus und wieder ein – dann entscheide, ob du jetzt News brauchst.

    Und wenn du dich dafür entschieden hast, dann überprüfe unbedingt hinterher, ob sie dich wirklich vorangebracht haben.

    Die kritische Frage „War das jetzt wirklich nötig?“ kann sehr interessante Ergebnisse bringen…

Und musst du dir denn nun Sorgen machen?

Ich kann dir darauf keine Antwort geben – denn es hängt davon ab, ob du Verantwortung trägst und etwas ändern kannst und dadurch für dich und andere etwas verbesserst.

Wenn du dreimal mit einem klaren „Ja“ oder einem einigermaßen klaren „Ich denke schon“ antworten kannst, dann gehört es in diesem speziellen Fall für dich dazu, die Sorgen, die du hast, ernst zu nehmen und daraus die bestmöglichen Entscheidungen abzuleiten.

Wenn du nicht die Verantwortung hast – was hast du davon, dich zu sorgen?

Wenn du nichts ändern kannst – was bringen dir die Sorgen?

Wenn niemand einen Nutzen daraus haben wird – warum verschwendest du deine Aufmerksamkeit auf das, was sein könnte?

Generell glaube ich, dass die allermeisten unserer Sorgen die Energie verschwenden, die wir für konkrete Aktivitäten bräuchten.

Wenn du hier und heute Lust hast, dir die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen und zu genießen, dass in deiner kleinen konkret beeinflussbaren Welt alles in Ordnung ist – dann musst du dir keine Sorgen machen.

​Tu dir gut und sei so liebevoll zu dir selbst, wie du nur kannst.
Deine

Christine