Ich bin gern allein. Und selten einsam.

Christine Winter // Introvertiert

30. Juni 2014  

Im Moment läuft hier im heimischen Büro die CD, die ich im letzten Urlaub immer im Auto gehört habe. Dadurch fühle ich mich gerade nach Lanzarote zurückversetzt. Dort habe ich Anfang Mai zehn wunderschöne Tage verbracht und mich großartig erholt.

Musik ist schon eine tolle Möglichkeit, um mal schnell die eigene Stimmung zu ändern. Ist dir schon mal aufgefallen, wie manche Songs oder CDs auf dich wirken? Nutzt du vielleicht sogar bewusst bestimmte Lieder für eine bestimmte Laune?

Aber Stop – ich wollte ja gar nicht über Musik schreiben. Sondern übers Alleinsein. 

Ich war also in Lanzarote. Und zwar alleine. Ich hatte mir eine wunderschöne Finca weit weg von den Touristenstränden gemietet und nichts besonderes geplant, sondern täglich in mich hineingehorcht, ob ich etwas unternehmen möchte oder lieber lese oder einfach im Liegestuhl vor mich hin döse und träume. Und ich habe jeden Augenblick genossen.

Wenn ich extravertierten Leuten von meinem Urlaub vorschwärme, sind die regelrecht entsetzt: „Wie, du warst die ganze Zeit allein? Und mit wem hast du dich da unterhalten??? Das ist ja furchtbar, wenn man niemanden hat, dem man erzählen kann, was man gerade macht. Hat dir das echt gefallen???“ Undsoweiterundsofort…

Ja, es hat mir gefallen. Wichtiger noch: Es hat mir ganz viel Energie gegeben, dass ich einfach mal einige Tage lang nur für mich da war. Denn ich bin introvertiert und brauche Phasen, in denen ich „nach innen gehen“ kann, weil es für mich sehr anstrengend ist, wenn ich mit Leuten zusammen bin und viel Umtrieb um mich herum ist.

Lanzarote ist da super. Die wunderschöne, weite und „leere“ Vulkanlandschaft. Rundrum Atlantik zum auf‘s Meer hinausschauen. Eine Insel mit überschaubaren Ausmaßen und doch mit ganz unterschiedlichen Landschaften. Der Wind überdeckt alle Geräusche. Und vor allem läuft die Zeit langsamer und ruhiger.

Introvertiert.

Manchmal werden Introvertierte als â€žleise Menschen“ bezeichnet. Das ist ein bisschen irreführend, denn introvertiert zu sein sagt nichts über die persönliche Lautstärke aus, sondern eher über das Bedürfnis nach Ruhe. Ein Introvertierter erholt sich am besten, wenn er sich zurückzieht und sich möglichst wenigen Reizen aussetzt.

Wenn du so ähnlich bist wie ich, dann kannst du dir vermutlich kaum vorstellen, dass es auch Menschen gibt, die ihre Batterien aufladen, indem sie sich nach einem anstrengenden Tag mit Begeisterung mitten ins Getümmel stürzen und sich mit möglichst vielen Menschen umgeben. Am besten im Bierzelt bei unglaublich lauter Musik, so dass man sich gegenseitig anbrüllen muss und trotzdem nicht viel von dem versteht, was der andere sagt.
Wer das als Erholung erlebt, der ist definitiv extravertiert!

Für uns Introvertierte sind solche Situationen mega-anstrengend. Wenn ich die Wahl habe (und die habe ich ja eigentlich immer), dann gehe ich erst gar nicht zu solchen Veranstaltungen. Falls ich mich aber doch mal entscheide, ein Volksfest, eine Party oder ein anderes Event zu besuchen, dann sehe ich zu, dass ich anschließend eine lange Erholungsphase habe, in der möglichst nichts und niemand um mich herum ist.

Versteh mich nicht falsch. Ich mag Menschen, bin gerne mit ihnen zusammen und höre ihnen gerne zu.
Ich bin kein Einsiedler, sondern habe im Alltag recht viel mit Leuten zu tun. Ich treffe Leute, berate Klienten, sitze in Besprechungen, gebe und besuche Seminare, telefoniere mit Freunden und so weiter.

Das macht mir Spaß. Aber es strengt mich eben auch an. Und wenn‘s zu viel wird, dann brauche ich die Möglichkeit zum Rückzug. Und zwar ungestört und möglichst lang. Zum Beispiel in einer Finca auf Lanzarote. Oder beim Wandern im Bayerischen Wald. Oder im Liegestuhl auf meinem Balkon.

Einsam.

Ich fühle mich nicht einsam in diesen Ruhephasen. Auch dann nicht, wenn sie einige Tage am Stück dauern. Denn ich weiß, dass ich den Rückzug brauche und davon profitiere. Daher genieße ich ganz bewusst den Abstand von den Leuten und vom Alltag. Das Alleinsein ist meine Entspanung und Erholung – und die gönne ich mir gerne.

Früher war ich über lange Phasen einsam. Genauer gesagt fühlte ich mich allein gelassen.
Vermutlich macht das den entscheidenden Unterschied: Damals habe ich mich deprimiert zurückgezogen, weil ich den Eindruck hatte, dass sich niemand für mich und meine Bedürfnisse interessiert. Ich hatte die Erwartung, dass jemand dafür sorgen sollte, dass es mir gut geht. Ich fühlte mich zum Alleinsein gezwungen. Ich wollte so sein, wie die „normalen“ (also extravertierten) Leute, die sich ins Getümmel stürzen und in Menschenmengen aufblühen.
Ich hatte eines übersehen: Das bin nicht ich.

Seit ich mir dessen bewusst bin und mich bewusst entscheide, mir Ruhe zu geben, bin ich nicht mehr einsam.
(Na ja, außer manchmal an besonders trüben Tagen, an denen ich mir wünschen würde, nicht die Verantwortung für mein eigenes Leben tragen zu müssen, sondern von einem Ritter auf einem weißen Pferd gerettet und beschützt zu werden. Aber selbst dann ist mir klar, dass mir so ein Ritter spätestens am nächsten Tag tierisch auf die Nerven gehen würde…)

Lanzarote.

Ich habe viel gelesen. Ich habe geschrieben. Ich habe fotografiert. Ich bin durch Lavawüsten und auf Küstenwegen gewandert. Ich habe Musik gehört und den Wind. Ich habe mich hingesetzt und einfach mal in mich hinein gelauscht. Und ich habe jede einzelne Minute genossen.

Und du? Könntest du dir einen solchen Urlaub vorstellen? Was machst du, um dich zu erholen?

Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine

Christine