Die drei Heiligen Sechs

Christine Winter // Sonst so...

3. Januar 2022  

Ich sitze da und starre aus dem Fenster.

Der eigentliche Plan war, dass ich den ersten Werktag im neuen Jahr schreibend beginnen wollte. Aber wie das mit Plänen (und ganz besonders mit der Sorte, die mit “Im Neuen Jahr...” anfängt) eben so ist - es klappt von Anfang an nicht wie gedacht.

Ich sitze also und denke, wie ungerecht es ist.

Ich hatte mir so einen schönen Vorsatz zurechtgelegt. Schon seit vor Weihnachten hatte ich mir ausgemalt, wie es sein würde, wenn ich ab Neujahr täglich voller Inspiration den Tag mit Schreiben beginne. Wie mich die Kreativität buchstäblich übermannt und ich gar nicht mehr aufhören kann, geistreiche Sachen zu notieren.

Es war ein echt toller Vorsatz - ich hatte so viel Spaß daran, mir auszumalen, was ich denn täte, wenn ich es dann tun würde. Und am ersten Montag nach dem Jahreswechsel kann ich ihn unbenützt in die Tonne kloppen.

Weil... Mir fällt nix ein. Gar nix. Null.

Nur sinnloses Gedanken-Durcheinander. Unsinn. Quatsch. Unzusammenhängende Ideen.

Und Beobachtungen. Kleinigkeiten. Auf-den-Einkaufszettel-schreib-Ideen.

Langweiliges Alltags-Zeugs...


Wie beispielsweise die Sternsinger, die draußen gerade den Berg herunterschlappen, während ich in Gedanken versunken zum Fenster rausstarre.

“Motivation sieht anders aus” denke ich mir.

Tatsächlich sind die vier jüngeren Jungs augenscheinlich nicht in Stimmung, ihren ganzen Ferientag mit Gedicht-Aufsagen und königlich-daherschreiten zu verbringen.

Die zwei älteren Teenie-Burschen sind so derart offensichtlich gelangweilt, wie es nur Teenager hinbekommen.
(Und ich, wenn ich in meinen Kaffee starre und der Überzeugung nachhänge, dass mir nichts einfällt - aber das sei nur nebenbei erwähnt.)

Die Könige schlurfern also mit edlen Umhängen und Kronen und Turban ausstaffiert bergab. Die Begleit-Jungens mit dem Bollerwagen hinterher. Ihren kleinen Wagen lassen sie vor sich her rollen, um die Bergab-Energie maximal auszunutzen - und krachen dem Sternträger mit Schwung in die Hacken.

Der dreht sich um und tritt mit dem beturnschuhten Fuß einmal kräftig gegen den Reifen vom kleinen Holzwagen - der sich sofort zur Seite legt. Woraufhin ebenfalls sofort der Sternträger-Kerl von den Großen einen ordentlichen Schubs kriegt, sich aber trotz Bergab-Energie gerade nochmal abfangen kann, bevor er sich längslegt.

Hoppla. Das verspricht jetzt doch interessant zu werden.

Die drei Könige, die schon weiter unten waren, wenden und gehen wieder bergan, um nichts zu verpassen. Nur für den Fall, dass es zur Prügelei kommen würde...
Sie rempeln dabei schon mal scherzhaft ein wenig gegen einander, um in Stimmung zu kommen. Die goldenen Umhänge wehen im Wind, Krone und Turban sitzen leicht schief. Aber alles nur Spaß...

Nicht so beim Begleitpersonal. Da wird geschimpft und die Großen machen sich größer, während der Sternträger - der ja traditionell der Kleinste in so einer Sternsinger-Truppe ist - vernünftigerweise doch lieber einknickt und anfängt, das Zeugs vom Wagen auf den Gehweg zu verfrachten.

Ich beobachte gebannt, wie das weitergeht.

Der Bollerwagen scheint einen Achsbruch zu haben. Das eine Rad ist völlig neben der Spur. Au weia.

Die drei Könige blödeln rum, während sie die weitere Entwicklung im Auge behalten. Der kleine Sternträger gesellt sich zu ihnen und überlässt das Malheur mit dem kaputten Wagen den Großen.

Die schieben erst mal die Hände ganz tief in die Hosentaschen. Aber dummerweise ändert das auch nichts.

Der eine bleibt in seiner “Nachdenkhaltung” versunken. Der andere wird dann irgendwann doch aktiv, stellt den Wagen wieder auf die Räder und dabei fest, dass der sich nicht mehr schieben lässt.

Also dreht er ihn beherzt auf den Kopf, wobei sich nun auch noch die Bordwand löst und neben Weihrauchfass, spendierten Schokoladentafeln, Thermoskanne und Handschuhen auf dem Fußweg landet.

Jetzt scheint vernehmlich geflucht oder doch jedenfalls heftig geschimpft zu werden. Die Könige nehmen es mit ganz unköniglichen Heiterkeitsausbrüchen und auch ihr Sternträger traut sich, aus sicherer Entfernung mitzulachen.

Der Reparatur-Versuch dauert eine Weile. Einer macht, was er ohne Werkzeug eben machen kann. Der andere hat die Hände tief in den Hosentaschen und übernimmt eine beratende Funktion. Viere machen Quatsch und sich gegenseitig auf ihre schief sitzenden Kronen aufmerksam.

Schließlich scheinen alle Räder wieder gängig zu sein. Der Wagen wird wieder aufgestellt, die Bordwände montiert. Läuft.

Das Einräumen wird dem Sternträger aufgetragen und von ihm anstandslos sofort erledigt. Und dann marschieren sie bergab. Aus meinem Sichtfeld.

Die drei Heiligen Sechs. Also die Drei plus Eins mit Stern plus die zwei Wagenlenker.

Ich sitze schmunzelnd mit meiner Kaffeetasse am Tisch.

Da fällt er mir wieder ein: Mein Neujahrs-Vorsatz. Ich wollte doch was schreiben und nicht nur zum Fenster rausschauen.

Aber mir fällt verflixt nochmal überhaupt gar nichts ein. Null. Kein Wort.

So ein Mist. Der Neujahrs-Vorsatz hat sich erledigt. Punktum.

Nur alltäglicher Gedanken-Lärm in meinem Kopf. Wer würde sowas lesen wollen?

Kein Mensch interessiert sich für meine Alltags-Beobachtungen.

Das war’s. Ich hab eben nichts, was ich schreiben könnte.

Aber das mit dem Sternsinger-Auffahrunfall finde ich schon außerordentlich komisch. Für so ein ganz alltägliches langweiliges Aus-Dem-Fenster-Starren, jedenfalls...