Eine Stille-Stärken-Leserin hat mich gebeten, mal etwas darüber zu schreiben, wie man Freunde kriegt, wenn man (sehr) zurückhaltend ist.
Das mache ich gerne – übrigens auch, wenn du eine Frage oder ein Thema für Stille Stärken hast.
Schreib mir einen Kommentar hier unter den Text oder eine persönliche Nachricht über’s Kontaktformular.
Ich habe die Antwort für dieses spezielle Leserthema eine ganze Weile vor mir hergeschoben, weil mir keine kurze einfache Antwort dazu eingefallen ist.
Denn genau genommen lautet die Frage an mich ja:
„Ich habe keine Freunde (weil ich auf niemanden zugehe).
Was ist der Trick, mit dem fremde Leute ganz einfach zu meinen Freunden werden?
Am Besten mit Erfolgsgarantie.
Bitte.“
Tja. Wenn’s dafür einen garantiert funktionierenden Trick gibt, kenne ich ihn nicht. Bedaure.
Was ich gut kenne, sind die Überzeugungen, die bei mir hinter dem Ich-habe-keine-Freunde-Thema steck(t)en…
„Ich hab keine Freunde. Ich hab überhaupt niemanden.“
Ich war ungefähr in der vierten Klasse, als sich dieser Gedanke in meinem Kopf eingenistet hat. Und da ist er dann geblieben, bis ich Ende zwanzig war.
Die Ãœberzeugung hat sich durch die Wirklichkeit nicht im Geringsten beeindrucken lassen.
Realistisch betrachtet gab es fast immer mindestens einen Menschen, der mich genau so akzeptiert hat, wie ich halt gerade war – mit allen Schwierigkeiten, Unzulänglichkeiten, Merkwürdigkeiten etc.
Es waren immer Leute da, die für mich da waren.
Ich wäre nur nie auf die Idee gekommen, dass sie meine Freunde waren.
„Ich stelle schon enorm hohe Erwartungen an Menschen, die meine Freunde sein könnten. Sonst könnt‘ ja jeder kommen.“
Ich weiß nicht genau, was ich mir unter „Freundschaft“ vorgestellt habe. Es war jedenfalls etwas schier Menschenunmögliches.
Vielleicht dachte ich, dass eine Freundschaft alle meine höchstpersönlichen Probleme wegmacht. Oder dass ein Freund mich auch dann besonders toll finden muss, wenn ich mich scheixxe benehme. Oder dass ich nichts zu tun brauche, um die Freundschaft zu erhalten, weil ein Freund schließlich nur ein echter Freund ist, wenn er nichts von mir erwartet.
Kurz gesagt: Für mich war der Titel „Freund“ an Bedingungen geknüpft, die niemand erfüllen konnte – und die ich auch selbst gar nicht konkret hätte benennen können…
„Ich erwarte von mir selbst, dass ich mit meinen Freunden ganz anders bin (bzw. werden kann) als ich bin.“
Es war eine fixe Idee. Und wie alle fixen Ideen war sie völliger Quatsch – aber genau deswegen konnte ich sie auch nicht loswerden.
Ich dachte ernsthaft, dass eine Freundschaft aus mir einen anderen Menschen machen würde. Wenn ich diesen ganz speziellen Freund (der auch gerne eine Freundin hätte sein können) gefunden hätte, dann hätte das ALLES geändert.
Dann wäre ich sozusagen auf einen Schlag der Mensch meiner insgeheimen Träume geworden. Und der neue Freund bzw. die neue Freundin hätte mich mit großen bewundernden Augen angehimmelt, weil ich so ganz und gar perfekt gewesen wäre…
Ich vermute, dass du es schon erraten hast. Ich bin niemandem begegnet, auf den diese Erwartung zugetroffen hätte.
„Ich bin überzeugt davon, dass niemand meine Freundschaft will – so wie ich bin.“
Die k.-o.-Erwartung schlechthin.
„Wenn ich anders wäre, würde ich gemocht werden. Aber weil ich so bin wie ich bin, geht das ja leider nicht. Und darum erwarte ich von jedem, dem ich begegne, dass er mich eh nicht mögen wird.“
Tja. Was soll ich sagen. Ich habe ziemlich oft geschafft, dass sich meine Erwartung bestätigt hat.
Da mache ich keinem einen Vorwurf. Es ist niemandem zuzumuten, mit einem Kaktus zu kuscheln.
„Ich kann auf niemanden zugehen, ohne entweder eine Beziehung oder eine Abfuhr zu erwarten.“
Wenn’s nur diese beiden Optionen gibt, dann kommt meistens die zweite Alternative dabei raus. Denn Menschen fühlen sich überfallen, wenn sie schon vor dem näheren Kennenlernen entscheiden sollen, ob daraus „was festes“ werden soll oder nicht.
Ein „Nein“ ist da die naheliegendste Antwort.
Beim Kennenlernen geht’s nicht um „entweder – oder“.
Da geht’s um „interessant“, „da möchte ich mehr erfahren“, „da nehme ich mir noch ein bisschen Zeit für“, „erzähl weiter…“
„Alle weichen immer aus, wenn ich auf sie zugehen will.“
Ich konnte es einfach nicht. Dieses entspannte auf neue Leute zugehen… Ging nicht.
Wie auch. Ich hatte das ja nie wirklich geübt.
Mit neuen Leuten fühlte ich mich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen.
Und so habe ich mich vermutlich auch verhalten.
Wenn ich dann in meiner Unbeholfenheit auf jemanden „zugepoltert“ bin, der mich nicht kannte, dann hat der logischerweise schnellsmöglich den Rückzug angetreten.
Ich habe echt lange gebraucht, bis ich kapiert habe, dass es mir viel besser liegt, wenn ich Leuten eine Gelegenheit biete, auf mich zuzugehen.
Genau genommen übe ich das bis heute…
„Ich komme alleine klar. Ich BRAUCHE gar keine Freunde mehr.“
Das war ein Ausdruck von Resignation. Ich habe schließlich festgestellt, dass ich niemanden brauche. Das fühlte sich nicht gut an – aber es war auch irgendwie erleichternd für mich.
Und in dem Moment, in dem ich aufhörte, mich von Freundschaft abhängig zu fühlen, passierte „das Wunder“.
„Hups. Wo sind die denn jetzt plötzlich hergekommen???“
Da waren plötzlich Leute, die mir das Gefühl gaben, dass ICH ihre Freundin war.
Die waren natürlich vorher auch schon um mich herum gewesen. Aber da hatte ich vorausgesetzt, dass sie etwas ganz besonderes FÜR MICH sein müssten. Die Erwartung hatte ich nun aufgegeben – und konnte ganz unerwartet eine Freundin sein.
Es war während des Studiums, als ich plötzlich feststellte, dass ich „einen netten kleinen Freundeskreis“ um mich hatte. Menschen, bei denen ich nichts anderes als nur ICH zu sein brauchte. Mit denen ich mich wohlfühlte, auf die ich mich freute, die einfach da waren.
„Freundschaft ist viel einfacher als ich immer dachte.“
Bis heute haben diese Studien-Freunde einen Platz in meinem Leben. Wir treffen uns selten, aber wenn wir zusammen sind, dann ist es wie „heimkommen“.
Ich bin nicht auf sie zugegangen.
Ich war da, sie waren da.
Wir haben Zeit zusammen verbracht. Sachen zusammen erlebt. Erinnerungen gesammelt.
Ich hab’s erst spät gemerkt, dass das mit „Freundschaft“ gemeint ist.
Alle meine Freunde sind so „in mein Leben reingewachsen“.
Ãœber den Beruf, im Studium, in meiner Freizeit in Seminaren oder in Vereinen, wo ich sie immer wieder getroffen habe.
Es war nie so, dass ich einmal rausgegangen bin und – schwupps – neue Freunde hatte.
Damit sich aus Kontakten eine Freundschaft entwickeln kann, braucht es…
Genau: Kontakt.
Wie macht man denn Kontakte?
Früher – also bevor es Internet gab – war „Rausgehen“ und Leute treffen die einzige Möglichkeit für Kontakte. Heute begegnet man auch interessanten Menschen online.
Meine langfristigen Freundschaften sind aber alle „offline“ entstanden – in Situationen, in denen ich „eh da“ war: Im Job, im Studium, im Seminar…
Ich bin nicht der Typ für schnelle Bekanntschaften – und für schnelles Anfreunden schon gar nicht.
Ich brauche Wochen, bis ich mich als jemandes Freundin fühle.
Die reine Online-Freundschaft? Gibt’s die???
Ich persönlich fühle mich erst „befreundet“, wenn ich einem Menschen gegenübersitzen kann – also „in Echt“ – und wir beide diese Nähe schätzen.
„Nur online“ entstehen für mich Bekanntschaften – und ich habe schon tolle Bekannte gefunden, die ich nur im Netz treffe. Die sind alle definitiv eine Bereicherung für mein Leben.
Manchmal bleibt’s online auch nur bei „Kontakten“ – und auch die schätze ich sehr.
Die Kategorie „Freunde“ ist bei mir – und das kann bei dir ganz anders sein – den Leuten vorbehalten, die ich offline sehr gut kenne, weil ich schon viel Zeit mit ihnen zusammen verbracht habe.
Dann ist es auch nicht schlimm, wenn wir nur zweimal im Jahr ein Treffen zustandebringen und zwischendurch per E-Mail, Telefon, Skype etc. in Verbindung bleiben.
Denn Freunde sind Menschen, die einfach da sind. Ich erwarte nichts. Sie erwarten nichts. Es ist einfach schön, zu wissen, dass es sie gibt.
Habe ich jetzt die Leserfrage beantwortet?
Ich weiß es nicht.
Wenn es einen „Trick“ gibt, mit dem ich Freunde finde, dann ist es dieser:
Ich freue mich über Menschen, die mir nahe sind, weil ich sie nicht brauche sondern mag.
Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine