Die Weltlage macht die Stimmung kaputt… Oder nicht?

Christine Winter // Die Drei Prinzipien

11. November 2022  

Ich könnte mir vorstellen, dass du das kennst. Man liest Nachrichten oder den Inhalt der Social-Media-Timeline. Man hört einen Podcast oder diskutiert im Freundeskreis aktuelle Entwicklungen. Oder der Nachbar hält einen im Treppenhaus auf, um ausführlich zu erläutern, warum Rentner-Sein unerträglich geworden ist...

Wenn mir das passiert - und irgendetwas davon passiert mir jeden Tag - geht meine Laune in den Keller und versteckt sich dort auf unbestimmte Zeit. Die Welt ist schlecht und es wird immer schlimmer. Wenn das kein guter Grund ist, um frustriert zu sein, weiß ich auch nicht.

Jeder weiß: Was passiert, ist dafür verantwortlich, wie man sich fühlt

Der Nachbar hört gar nicht mehr auf zu jammern - also ist es seine Schuld, wenn ich mich danach lustlos und erschöpft die Treppe zu meiner Wohnung hoch schleppe. Und außerdem geht auf sein Konto, dass ich mich den Rest des Tages um die Lage der Welt im Allgemeinen und die der Rentner im Speziellen sorge. Ach ja, dass mir in der Nachrichten-App dieses Interview von einem Armutsforscher ins Auge springt, der die Misere nicht nur beschreibt, sondern auch wissenschaftlich beweist, ist auch die Schuld vom Nachbarn. Ich sollte dringend besser aufpassen, ob er im Treppenhaus ist, bevor ich wieder die Wohnung verlasse...

Oder ist es doch anders, und die Weltlage macht mich aufmerksam für Armutsberichte und Rentner-Probleme? Das klingt eigentlich noch viel plausibler: Die Welt hat sich in den letzten Jahren so arg verschlimmert, dass wirklich jeder eine Geschichte erzählen kann, wie alles früher besser war und jetzt immer schlimmer wird ...mit der Aussicht auf immer noch katastrophalere Zuspitzungen. Stimmt doch auch - das kann man in den Nachrichten jederzeit nachkucken.

Es gibt gute Gründe, sich Sorgen zu machen.

Und wenn es einfach umgekehrt ist?

Was wäre, wenn die Sorgen dafür sorgen würden, dass die Weltlage so zugespitzt wirkt? Und was wäre, wenn die Sorgengedanken dafür sorgen würden, dass sich das Leben so frustrierend anfühlt? Und was wäre, wenn sich sowohl die unguten Gefühle als auch das ganze Sorgendenken mit einer einzigen kleinen Änderung abstellen lassen würden?

Das sind Fragen, die ich ausgesprochen spannend finde. Denn ich habe keine Lust, mich permanent schlecht zu fühlen.

Ich habe immer mal wieder Momente, in denen ich grundlos glücklich bin. Und ich habe oft längere Phasen, in denen ich eine grundlegende Zufriedenheit spüre. Oder ich erlebe Alltagskleinigkeiten, die mir spontan eine kleine Freude machen.

Gute Gefühle sind also gar nicht sooo ungewöhnlich.

Aber die Auslöser für die Glücks-, Freude- und Zufriedenheitsgefühle sind so unplanbar. Und sie scheinen recht selten zu sein...

Potzblitz! Ich brauche keinen Auslöser, um mich gut zu fühlen!

Da, wo die guten Gefühle herkommen, gibt es eine unerschöpfliche Fülle an Zufriedenheit und Freude. Sie ist jederzeit verfügbar und wird auch bei noch so intensivem Gebrauch nie weniger.

Sobald ich nicht durch Sorgendenken oder Jammern den Nachschub blockiere, kommt die Freude bei jeder sich bietenden Gelegenheit durch.

Ich brauche keine Auslöser, um mich gut zu fühlen.

Ich kann einfach aufhören, die Gefühle, die ich nicht mag, gedanklich festzuhalten. Und der Nachschub an Freude ist wieder frei.

Klingt unglaublich?

Gestern hatte ich einen schlechten Tag. Der hat direkt schlecht angefangen, als mir die Kaffeepulverdose aus der Hand gerutscht ist - Kaffeepulver bis in die kleinsten Ritzen der Küche - und ist sogleich mit einem schlechten Arbeitsstart weitergegangen, weil ein Update die Webseite über Nacht ungeplant ziemlich hässlich "umdesignt" hatte. Der Morgen war gerade erst am Anfangen und ich war schon völlig entnervt. Es gab einen Haufen gute Gründe, für den Rest des Tages jede Hoffnung auf gute Laune zu beerdigen.

Dann kam mir der leise Gedanke, dass ich zwar mühelos weitere Gründe für Frust jederzeit und überall finden würde - aber die gute Laune könnte von selbst zurückkehren, wenn ich damit aufhöre.

Ich habe mich also in meinem Stuhl zurückgelehnt und den Frustgedanken erlaubt, zu verschwinden. Und nach wenigen Sekunden haben sie tatsächlich Platz gemacht...

Wie ich da so saß, ging mein Blick zum Fenster raus und draußen schien die Sonne. Herbstsonne - und ich dachte mir: "So schön, dass bisher die trüben Tage auf sich warten lassen."

Während ich so rausschaute, kam mir die Idee, mich für einen Moment auf den Balkon zu setzen, um das wunderbare Wetter zu genießen. Bei einer frischen Tasse Kaffee.

Als ich in meine Küche ging, musste ich über das Kaffeepulver-Drama von vorhin lächeln. Was für eine Sauerei - aber der Staubsauger ist ihr in relativ kurzer Zeit relativ umfassend Herr geworden. Und abgesehen davon rieche ich den Kaffeeduft ja eigentlich ganz gerne...

Auf dem Balkon war es wunderbar. Der Kaffee war genau, was mir jetzt gerade gut tat. Und dann setzte sich direkt vor mir ein Schmetterling aufs Balkongeländer und schaute mir zu. (Mit ein bisschen Phantasie konnte ich mir ausmalen, dass er mir freundlich zulächelte und am liebsten gezwinkert hätte - was aber mit seinen Facettenaugen leider nicht geht.) 

Die Weltlage bleibt gleich. Die Stimmung nicht.

Was hatte sich in den Minuten, seit ich den Frustgedanken erlaubt hatte, sich zu verabschieden, geändert?

Äußerlich: Nichts.

Sonne war vorher schon da. Kaffeepulverdesaster auch. Und dass ich mit einer Tasse auf den Balkon könnte, war auch nicht neu.

Was sich geändert hatte, war alles innerlich: Der Frust durfte gehen, und in dem Maß, in dem er Platz gemacht hat, ist Freude aufgekommen.

Die Weltlage durfte auch aus meinem Denken verschwinden und den schönen Momenten Raum geben - obwohl die Welt exakt so geblieben ist, wie sie war.

Ich glaube auch nicht, dass mir das Universum einen Schmetterling vorbeigeschickt hat - der wäre wahrscheinlich eh auf meinem Balkongeländer gelandet.

Ich wäre aber nicht da gewesen, um ihn zu sehen, wenn ich mir die kleine Auszeit nicht gegönnt hätte. Und ich hätte nicht die Phantasie gehabt, mir das Zwinkern von Facettenaugen auszumalen.

Die Weltlage ist die Weltlage. Und wenn die persönliche gute Laune damit gar nichts zu tun hätte?

Wenn äußere Ereignisse mich zwar betroffen machen (soweit sie mich persönlich betreffen), aber die Freude und Zufriedenheit in all den Momenten verfügbar ist, in denen Betroffenheit nicht da ist...

Dann kann ich mich jederzeit freuen und wohlfühlen, sobald ich den unangenehmen Gedanken, die die unangenehmen Gefühle mit sich bringen, eine Pause gönne.

Und mal ganz ehrlich: Die allermeisten Welt-Probleme können auch noch einige Minuten warten, bis ich mich darum kümmere. Oder ich bin überhaupt gar nicht für ihre Lösung zuständig. Oder ich bin nicht mal davon betroffen...

Und da ist sie wieder, meine gute Laune. Denn draußen scheint immer noch die Sonne und in der Küche riecht es lecker nach Kaffee.