Was ist der Unterschied zwischen „Blockade“ und „Angst“?

Sowohl für die mutistische Blockade als auch für die Angst gibt es einen Auslöser. Und auf den Auslöser folgt eine immer gleiche Reaktion.
So viel zu den Gemeinsamkeiten… 🙂

Und hier sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Unterschiede, so wie ich sie kennengelernt habe:

  • Bei der Blockade kann ich keinen konkreten Auslöser benennen – „es“ passiert einfach.
    Bei der Angst erkenne ich einen Auslöser. (Ob der rational nachvollziehbar oder ob die Reaktion angemessen ist, ist allerdings für die Angstreaktion unerheblich.)
  • Wann die Blockade „zuschnappt“, kann ich nicht vorhersehen.
    Wenn sich Angst aufbaut, dann ist mir das hingegen sehr bewusst.
  • In der Blockade ist die Handlungsfähigkeit weitestgehend eingeschränkt. Auch körperliche Aktionen, die überhaupt nichts mit Sprache zu tun haben, „gehen nicht mehr“.
    Bei Angst bleibt wesentlich mehr Handlungsspielraum – wenn ich diesen auch oft eher zu kontraproduktiven Aktionen genutzt habe.
  • Das Denken ist in der Blockade irgendwie „zäh“ und verlangsamt oder von der eigentlichen Situation losgelöst. Als Kind habe ich mich völlig in meinen Phantasien verloren.
    Bei der Angst überschlagen sich die Gedanken, sind aber sehr auf das Angstobjekt bzw. die Angstsituation fixiert.
  • Die Blockade ist ein passives Gefühl.
    Die Angst fühlt sich sehr aktiv und angespannt an, selbst wenn sie sich lähmend auswirkt.
  • Die Blockade ist eine Art Schutz. Sie ist bei mir mit einer emotionalen Freiheit verbunden.
    Angst erlebe ich hingegen als sehr störend und einschränkend.
  • In der Blockade gibt es keinen Grund, diesen Zustand nicht länger aufrechtzuerhalten. Das Verlassen der Blockade erscheint mir (auf einer im Wesentlichen unbewussten Ebene) unangenehm. Wenn ich mich gezwungen fühle, die Blockade zu verlassen, wird „ihr Sog“ noch stärker.
    Angst möchte ich entweder ignorieren oder loswerden. Die Angstsituation soll so schnell wie möglich vorbeigehen. (Wobei der Versuch, sie „wegzudrücken“, die Angst noch verstärkt.)
  • In der Blockade habe ich beinahe gar keine Körperwahrnehmung. Ich befinde mich in einer Art „Schwebezustand“. Lediglich meine Gedanken kann ich sehr deutlich als inneren Monolog wahrnehmen oder sogar „spüren“.
    Angst ist ein höchst körperlicher Zustand für mich – und die Gedanken springen wild hin und her.
  • In der Blockade ist „die Welt um mich herum“ auf merkwürdige Weise weit weg. Ich kann zwar alles wahrnehmen (vermute ich), aber es hat keine Relevanz für mich.
    In der Angst sind meine Sinne sehr geschärft und aufs Außen fokussiert. Jede Reaktion in meiner Umgebung ist relevant (und löst häufig noch mehr Angst aus).
  • Nach einer Blockade möchte ich mich zurückziehen (dürfen) bzw. ich möchte gern langsam und für mich allein aus der Blockade zurückkehren. Unter Druck oder wenn jemand dabei ist kann ich mich nicht ganz aus der „Abwesenheit“ lösen, selbst wenn ich bereits wieder handlungsfähig werde.
    Wenn die Angst weggeht, dann habe ich Bewegungsdrang und bin eher überdreht und unnatürlich aktiv.
  • Eine Blockade erinnere ich als sehr „verwaschenes Bild“ und eher bruchstückhaft.
    An eine Angstsituation habe ich eine sehr klare Erinnerung und die Erinnerungsbilder sind sehr kontrastreich und übermäßig scharf.

Angst und Blockade in der gleichen Situation auftreten. Wobei die Blockade dann das Gefühl von Angst „betäubt“. Nach der Blockade ist die Angst aber unvermindert wieder da.

Mehr Fragen & Antworten zum Selektiven Mutismus

Weil solche Fragen oft sehr individuelle Antworten erfordern, führe ich in regelmäßigen Abständen kostenlose Webinare - also Live-Veranstaltungen im Internet - durch, bei denen ich Antworten gebe und Themen rund um Selektiven Mutismus vertiefe.

Falls du dich jetzt fragst, warum ich auf den Unterschieden von Angst und Blockade so herumreite…

„Angst“ ist in Deutschland bisher (und noch mindestens bis Anfang 2022) kein Diagnose-Kriterium für Selektiven Mutismus. Und das finde ich gut, denn für mich war in der frühen Kindheit nicht die Angst, sondern die unwillkürliche Blockade, die sich schnell zu einem Automatismus verfestigt hat, das ausschlaggebende Problem. Ängste sind erst viel später hinzugekommen…

Wenn man die Angst zum Diagnosekriterium macht, dann ist ein Kind, das nicht in der Lage ist zu sprechen bzw. zu reagieren und dabei keine (für den Psychiater/Therapeuten erkennbare) Angst empfindet, nicht selektiv mutistisch und hat damit nicht den (Kassen-)Anspruch auf möglichst frühe geeignete Therapie.

Und darüber hinaus glaube ich, dass die Blockade nicht mit den selben Methoden geheilt werden kann, die für Ängste gut funktionieren.
Denn wer „nur Angst“ hat, erlebt es als Erleichterung, diese Angst überwunden zu haben. Wer aber aus einer Blockade heraus muss, ist dann erst mal mit seinem Stress und seinen in der Blockade aufgestauten Emotionen in voller Wucht konfrontiert – und das ist ein ziemlich nachvollziehbarer Grund, um (unbewusst und daher auch nicht willentlich zu ändern) immer länger und immer häufiger in der Blockade zu bleiben.
Ich unterstelle – aus meiner unwissenschaftlichen Beobachtung – dass die klassische Herangehensweise einer Angsttherapie die Blockaden verstärkt. Bei mir wäre das definitiv so gewesen…

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