Wenn du mich so fragst: Nö. 🙂
Das, was ich hier schreibe, ist meine persönliche Meinung, die ich mir aus dem bilde, was ich als Betroffene erlebt habe. Ich kenne beides – die mutistische Blockade und die soziale Angst. Und bei mir war es nicht das Gleiche.
Für mich gibt es einen riesigen Unterschied:
- Soziale Angst heißt, dass ich eine Situation als extrem unangenehm empfinde.
Und ich kann in der Regel verfolgen, wie sich meine Angstempfindungen immer mehr aufbauen.
Ich habe ein sehr klares Empfinden davon, wie (langsam) die Zeit vergeht, während meine Angst immer belastender wird.
Wenn ich durch die Situation „durch bin“, kann ich auch beobachten, wie sich die Angst nach und nach wieder legt. - Mutistische Blockade heißt, dass ich eben noch „ganz normal“ war und – bäms – in einem völlig anderen Zustand bin.
Dieser Zustand ist für mich nicht mit Angstempfindungen verbunden. Im Gegenteil – ich erlebe ihn als frei und distanziert.
Die Zeit steht still oder ist erheblich verlangsamt, während ich „weg bin“.
Ich kann nicht sagen, wie ich aus der Blockade wieder herauskomme.
In dem Moment, in dem ich wieder mit der Realität konfrontiert bin, setzt die manchmal eine Angstreaktion ein. (Als ich ein kleines Kind war, war da keine Angst. Die Angst ist im Grundschulalter entstanden, als mir bewusst wurde, dass ich den Beginn der Blockade nicht beeinflussen kann. Und – was mit den Jahren immer wichtiger wurde – dass ich auch das Blockade-Erleben nicht willentlich beenden kann.)
Die Auswirkungen sind sich gar nicht so unähnlich. Aber:
Bei der Angst bin ich „aktiv hilflos“ – bei der mutistischen Blockade bin ich „passiv abwesend“.
Weil solche Fragen oft sehr individuelle Antworten erfordern, führe ich in regelmäßigen Abständen kostenlose Webinare - also Live-Veranstaltungen im Internet - durch, bei denen ich Antworten gebe und Themen rund um Selektiven Mutismus vertiefe.
Meine Schlussfolgerung ist, dass „Mutismus = Angst“ nicht zutrifft und dass durch diese Annahme auch nicht unbedingt eine geeignete Therapie für Mutisten erfolgt. Insofern finde ich die Tendenz der Fachleute, Mutismus zur Angststörung zu erklären, sehr problematisch. Insbesondere, da Angsttherapien nach meiner subjektiven Beobachtung Mutismus überwiegend nicht heilen.
Und ja, natürlich haben bzw. entwickeln Mutisten Ängste, sehr häufig als Sozialphobie. Aber der Mutismus IST NICHT die Angst.
Ich hätte natürlich zu dieser Frage auch schlicht und einfach (und ohne meine eigene Meinung zu äußern) schreiben können, dass Sozialphobie und Selektiver Mutismus nach dem derzeit in Deutschland (noch bis Anfang 2022) geltenden Diagnosemanual ICD10 zwei unterschiedliche Diagnosen mit verschiedenen Symptomen sind. 🙂
Nächste Frage: Was ist der Unterschied zwischen „Blockade“ und „Angst“?