…und wie Schwarzsehen keine Chance hat
Ich hatte dir ja von meiner mündlichen Prüfung erzählt, die entgegen aller durchaus begründeten Befürchtungen zu einem guten und angenehmen Ergebnis führte.
Völlig zu recht denkst du dir jetzt: „Kann ja sein, dass alles gut geht, die Prüfung nicht zu schwer und der Prüfer nett ist. Aber mir fallen im Minutentakt gute Gründe ein, warum das bei MEINER Prüfung garantiert nicht der Fall sein wird.“
Das verstehe ich gut, denn unsere menschlichen Gehirne sind darauf spezialisiert, sich Sorgen zu machen, das Schlimmste vorherzusehen und schwarz zu sehen.
Und weil ich gerade davon schreibe, dass MAN sich Sorgen macht…
Das hieße ja, dass man sich die Sorgen selbst „ausdenkt“…
Hmmm…?
Wenn ich es mir ganz genau überlege, muss ich zugeben: Meine Sorgen sind immer die Sorgen, die ich mir selbst „in den Kopf setze“. Und wenn ich wegen irgendetwas schwarz sehe, dann liegt das nicht daran, dass plötzlich jemand das Licht ausgemacht hat, sondern an der Art und Weise, wie ich die Situation betrachte.
Wenn ich mir also Sorgen machen kann, dann sollte ich mir ja auch Sorgen wegmachen können!
Dazu tue ich das, was auch Sportler tun, wenn sie sich auf Wettkämpfe vorbereiten. Was eine Tänzerin tut, um sich auf ihr Ballettsolo vorzubereiten. Was großartige Musiker tun, um eine unglaublich schwierige Passage in einem Musikstück zu beherrschen. Ich mache Mental-Training.
Genau genommen mache ich Trockenübungen in meiner Phantasie: Ich gewöhne mich daran, dass die Prüfungssituation ganz hervorragend laufen wird. Dass ich in jedem Augenblick genau richtig reagieren werde. Und dass ich während der ganzen Zeit vollkommen zufrieden sein werde.
Gute Sportler üben auf diese Weise Abläufe und Strategien ein. Die Ballerina stellt sich jede kleinste Bewegung vor, um sie später mit größtmöglicher Eleganz und Sicherheit auszuführen. Der Musiker spürt die Fingerbewegungen immer schneller und schneller, um sie schließlich am Instrument perfekt auszuführen.
Und ich spüre mich in die perfekte Prüfungssituation hinein, indem ich mir einen kleinen Ausschnitt vornehme, z. B. nur die Antwort auf die allererste Frage. (Es ist absolut nicht sinnvoll, die ganze Prüfung von Anfang an in einem Stück zu üben, denn das wäre viel zu anstrengend…)
- Eine Szene, nicht mehr und nicht weniger:
Wenn du das Mentaltraining ausprobieren möchtest, dann wähle eine einzelne Szene. Sie sollte gerade so lang sein, wie nötig – wie etwa ein einzelner abgeschlossener Bewegungsablauf eines Sportlers. Und sie soll so klein und ungefährlich sein, dass du dich ganz sicher nicht überfordert fühlst. - Perfekt ausgeführt
Gestalte diese eine Szene in deinen Gedanken so lange, bis sie in allen Details absolut perfekt ist. Betrachte sie von außen, als ob du dich in einem Film selbst sehen würdest.
Du bist dein eigener Regisseur und du gibst dich erst zufrieden, wenn du die Szene zu deiner vollkommenen Zufriedenheit „im Kasten“ hast.
Achte dabei auf jedes Bild und auf jedes Geräusch. Schau dir an, ob das Licht stimmt und die Farbigkeit. Und erst, wenn du das Gefühl hast, dass wirklich alles stimmt, gehst du zum nächsten Punkt weiter. - Erste Probe
Nun verlässt du in Gedanken den Regiestuhl und steigst in deiner Phantasie als Schauspieler in die Szene ein. Du spielst sie ein erstes Mal in Gedanken von Anfang bis Ende durch. Und wenn du bei dieser ersten Probe merkst, dass du noch etwas verbessern musst, dann machst du die Szene von der Regie-Position aus so lange besser, bis wirklich alles genau richtig ist. - Und Action.
Spiele die perfekte Szene durch – und zwar so oft, bis sie dir nicht mehr fremd vorkommt. Mindestens sieben „Takes“ sollten es auf jeden Fall sein. - Cut!
Wähle dir den besten „Take“ aus, um ihn dir in den nächsten Tagen immer wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen.
Und wenn du noch weitere Szenen brauchst, um gut vorbereitet zu sein, dann setzt du einfach dein mentales Training später mit dieser Situation fort.
Du hast es bestimmt längst bemerkt:
Beim Mentalen Training mache ich genau das nicht mehr, was ich früher gemacht hatte: Mir in allen Details vorzustellen, wie alles Erdenkliche schiefgehen und ich letztlich scheitern werde.
Und noch etwas:
Wenn ich es schaffe, schwarz zu sehen, dann schaffe ich es auch, bunt zu sehen!
Wenn ich mir die perfekte Szene geschaffen habe, dann gebe ich ihr auch die perfekte Farbe und die optimale Beleuchtung. Mit weniger gebe ich mich nicht zufrieden.
Und wenn ich damit fertig bin, hat Schwarzsehen keine Chance mehr.
Ob du eine Prüfung vor dir hast, einen wichtigen Gesprächstermin, eine berufliche Herausforderung oder tatsächlich einen sportlichen Wettbewerb – eine gute mentale Vorbereitung ist das beste, was du dafür tun kannst.
Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine